Alchemie der Unsterblichkeit
die edle Kleidung mit dem taillierten Mantel aus rotem Samt oder der schwere Siegelring, sondern der herrische Blick aus seinen tiefschwarzen Augen, der den Adel verriet. In der rechten Hand hielt er einen mannshohen Stab aus Ebenholz, auf dessen Spitze ein faustgroßer Kristall thronte. Innerhalb weniger Sekunden erfasster er die Situation.
»Ich nehme an, Sie sind Inspektor Ceihn?« Die Stimme des Fürsten klang bedrohlich und weich zugleich und hatte fast schon eine hypnotische Wirkung.
»Zu Euren Diensten, Durchlaucht.« Icherios verbeugte sich unbeholfen.
Sohon winkte ab. »Zu viel der Förmlichkeiten. Niemand spricht mich mit meinem Adelstitel an. Wurden Sie über die besondere Natur der Einwohner meiner Ländereien unterrichtet?« Der Fürst blickte stirnrunzelnd auf das Kreuz aus Waldglas, das Icherios seit dem Morgen in Glashütte um den Hals trug.
Schlagartig kehrte die Erinnerung an Anselms Warnung, keine Kreuze zu tragen, zurück. Törichter Aberglaube! Stur umklammerte Icherios das Geschenk. »Mir sind keine Einzelheiten zu den Morden bekannt.«
»Dann sollten wir Ihnen einige wichtige Fakten darlegen, bevor wir uns dem vierten Opfer zuwenden.« Sohon legte eine bedeutungsvolle Pause ein. »Dieser Ort wird nicht nur von Menschen bewohnt, sondern auch von Vampiren und Werwölfen. Keines der Opfer war ein Mensch.«
Icherios starrte ihn an. War das ein Test für seinen rationalen Verstand? Hielten sie ihn für abergläubig? »Sie nehmen doch nicht an, dass ich das glaube? Ich bin Gelehrter und Inspektor im Auftrag des Kaisers.«
»Ja, genau das erwarte ich. Wenn Sie die Augen vor den Tatsachen verschließen, werden Sie nicht in der Lage sein, den Mörder zu fangen.«
»Ich bitte Sie, Werwölfe und Vampire sind Legenden.«
»Ebenso wie Worge und Irrlichter? Ich weiß, was in den Städten gelehrt wird. Wissenschaft scheint mir ein neuer Ausdruck für Ignoranz zu sein.« Sohon verzog verächtlich den Mund.
Icherios wollte weiteren Einspruch erheben, da fuhr Rabensang aus seinem Sessel auf. »Jetzt reicht es.« Er baute sich drohend vor Icherios auf. Seine Augen leuchteten hellgelb. »Wenn er Beweise will, kann ich sie liefern.«
Der Pfarrer sprang dazwischen. »Ungehobeltes Tier, wage es nicht, Hand an einen meiner Schützlinge zu legen!«
Ein tiefes Grollen drang aus Rabensangs Kehle, das abrupt verstummte, als ein leises Klopfen an der Tür erklang. Eine junge Frau mit goldenen Locken betrat leichtfüßig den Raum und versank in einen anmutigen Knicks. »Verzeiht die Störung. Ich hatte noch keine Gelegenheit, unseren Gast zu begrüßen und die Höflichkeit gebietet es, dass ich dies nachhole, bevor ich mich zur Nachtruhe zurückziehe.«
Icherios konnte nicht umhin sie anzustarren. Sie war eine Schönheit von zierlicher Gestalt mit zarter Porzellanhaut. Ihre Augen trafen sich. Icherios glaubte in ihrem silbrigen Grau versinken zu müssen.
Dem Bürgermeister entging der Blickwechsel nicht. Er räusperte sich vernehmlich. »Darf ich vorstellen, meine Tochter Loretta.« Arken warf Icherios einen warnenden Blick zu, dann wandte er sich an die junge Frau. »Loretta, dies ist Icherios Ceihn, der Inspektor aus Karlsruhe.«
Lorettas Lächeln vertrieb die Zweifel, die sich auf Icherios’ Gemüt gelegt hatten. »Soll ich dem Herrn seine Räumlichkeiten zeigen, Vater?«
Mit einer besitzergreifenden Geste legte Sohon seinen Arm um ihre Schulter. Man konnte seinen Zorn regelrecht spüren. »Das wird nicht nötig sein, meine Liebe. Wir haben noch einiges zu besprechen. Eine weitere Frau wurde ermordet.«
Loretta erstarrte in seinem Griff. Sie riss die Augen auf. »Wer?« Ihre Stimme versagte.
»Merelle. Sei unbesorgt, ich werde nicht zulassen, dass dir ein Leid zugefügt wird.« Mit einem bedeutsamen Blick in Richtung Icherios schob er sie zur Tür. »Leg dich schlafen, meine Schöne.«
»Aber Herr Ceihn hat noch nicht gegessen.«
»Dein Vater wird sich um alles kümmern.«
Mit einem leisen Seufzen verabschiedete sich Loretta und zog die Tür hinter sich zu.
Hielt sie sich auch für einen Vampir oder gar einen Werwolf? Icherios verdrängte seine Gefühle. Er hatte eine Mordserie aufzuklären, gleich was die Menschen dachten. »Was können Sie mir über die Opfer mitteilen?«
Es herrschte einen Moment Stille. Rabensang starrte auf seine Stiefel, der Bürgermeister studierte ein Pergament und der Pfarrer polierte sein Kreuz. Schließlich räusperte sich Sohon. »Den ersten Toten fand man am Samstag
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