Alchemie der Unsterblichkeit
vor zwei Wochen. Es handelte sich um Urch Dornschweif, einen Werwolf. Er war mit Hel verheiratet, Vater einer sechs Monate alten Tochter und arbeitete als Holzfäller.«
»Ein Werwolf, der als Holzfäller arbeitet?« Icherios erschienen die Menschen immer verrückter.
»Von irgendetwas müssen wir schließlich leben.« Rabensang funkelte Icherios aus gelben Augen an.
»Natürlich, verzeiht. Bitte fahrt fort, Fürst.«
»Man fand ihn in der Nähe seiner Hütte. Der Mörder hatte ihn nackt an der Mauer aufgehängt und ihn ausbluten lassen, hatte ihm Erde in den Mund gestopft und ihm anschließend den Kopf abgetrennt.«
»Ergab die Obduktion irgendwelche Besonderheiten?« Icherios holte seinen alten Notizblock und einen Kohlestift hervor.
»Selbstverständlich nicht!«, fuhr Bernsten dazwischen. »Die Toten lässt man ruhen, bis man sie in die Hände Gottes gibt.«
Icherios erinnerte sich, einst über die Geschichten der Stadtwache, die von ihren Erlebnissen auf dem Land berichtet hatten, gelacht zu haben. Er hatte ihre Erzählungen über die Rückständigkeit der Bevölkerung für Übertreibungen gehalten. Nun merkte er, dass dem doch nicht so war. »Ich bitte darum, mich in Zukunft zu benachrichtigen und die sterblichen Überreste nicht anzurühren. Ohne ausgiebige Untersuchungen wird es mir nicht möglich sein, den Mörder zu finden.«
Sohon nickte zustimmend. »Eines noch: Etwas war seltsam an den Leichen. Ihr Blut war schwarz.«
»Seid Ihr sicher, dass es nicht einfach geronnen war?«
»Glaubt mir, mit Blut kenne ich mich aus. Es war schwarz und entbehrte den üblichen, süßen Geruch.«
»Das zweite Opfer war Bamian Centh«, erläuterte der Bürgermeister, den Blick auf Sohon gerichtet. »Er arbeitete auf der Feste als Verwalter und hatte dort seinen Wohnsitz. In seinem Herz befand sich ein Pflock. Ihm wurden die Augen ausgebrannt, bevor man ihn an der Mauer aufhängte, um ihn ausbluten zu lassen. Seinen Kopf fand man zu seinen Füßen.«
Icherios schluckte. Der Täter ging mit unglaublicher Brutalität vor.
»Die Dritte war Jaine Windsucher«, fuhr Sohon fort. »Werwolf, jung, beliebt, lebte mit ihren Eltern und Brüdern zusammen. Sie wurde ebenfalls nackt außen an der Stadtmauer aufgehängt und blutete aus. Dann hat er sie wohl mit Wasser übergossen und enthauptet.«
»Dann ist das neue Opfer ein weiblicher Vampir?«
Die Frage schwebte einen Moment unbeantwortet im Raum.
»In der Tat. Doch all Ihre klugen Schlussfolgerungen werden nichts nützen, wenn Sie die Existenz von Vampiren und Werwölfen nicht akzeptieren.«
Ein Blick in die Runde bestätigte Icherios’ Vermutung, dass sie auf eine Reaktion von ihm warteten. Er würde ihr Spiel mitspielen. Was anderes blieb ihm nicht übrig. »Ich werde die besondere Natur der Opfer berücksichtigen.« Der junge Gelehrte stakste im Zimmer auf und ab. Dann reckte er den Finger wie ein alter, bebrillter Schulmeister in die Luft. »Der Mörder scheint sich nach den Elementen zu richten. Der Rachen der ersten Leiche wurde mit Erde gefüllt, die zweite wurde mit Feuer markiert und die Jungfer Jaine mit Wasser übergossen. Merelle wird ein Zeichen der Luft tragen.«
»Sehr gut!« Arken strahlte. »Morgen wird die Kutsche Sie zurückbringen. Vier Tote, vier Elemente – die Bestie hat ihre Arbeit verrichtet.«
»Es sind sieben.« Icherios hielt in seiner Wanderung inne und rückte seine Brille zurecht. »In der Alchemie gibt es sieben wichtige Elemente: Erde, Feuer, Wasser, Luft, Mercurius, Sulphur und Salz.«
»Neumodischer Schwachsinn.« Das Gesicht des Bürgermeisters rötete sich, wodurch seine picklige Haut wie von Kratern durchsetzt wirkte. »Sie wollen nur mehr Geld.«
»Wir wissen nicht, welche Pläne der Mörder verfolgt, und ich möchte die Bestie zur Rechenschaft ziehen. Der Inspektor bleibt.« Der Fürst duldete keinen Widerspruch.
Icherios fühlte Dankbarkeit für Sohon in sich aufkeimen. Nun musste er sich das Vertrauen verdienen. »Kann ich den Fundort besichtigen? Sie können mir auf dem Weg alle weiteren Informationen geben.«
Selbst der Bürgermeister stimmte zu, offensichtlich erleichtert, Icherios aus dem Haus zu haben.
9
Schreie in der Nacht
G
Sohon führte sie durch die nächtlichen Straßen. Icherios fiel erneut der leicht metallische Geruch auf. Mit einem Schaudern erinnerte er sich an die Begegnung mit den Irrlichtern. Wenn es fleischfressende Nebelwesen gab, warum nicht auch Vampire? War einer seiner Begleiter kein Mensch?
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