Alchemie der Unsterblichkeit
Im Gegenzug verraten wir sie nicht.«
»Und bezahlt dafür mit Menschenleben.«
»Was sollen wir denn sonst machen?«, fuhr Kolchin empört auf. »Sollen wir uns etwa gegen sie auflehnen? Ihr wisst nicht, wie mächtig sie sind; keiner würde überleben, und es gibt genug Menschen, die bereit sind, sich auf einen Pakt mit dem Teufel einzulassen.«
Icherios hielt es für das Beste, das Thema zu wechseln. »Ich habe diese Nacht Schreie im Haus des Bürgermeisters gehört. Sie schienen aus dem Keller zu kommen. Wisst Ihr etwas darüber?«
Kolchin schaute sich in alle Richtungen um. Als wenn jemand sich an dem steilen, steinigen Hang verbergen könnte!
»Das war sicher Maribelle, Lorettas Schwester.«
»Und sie sperren sie in den Keller?« Icherios wollte nicht glauben, was er da hörte.
»Es ist nicht so, wie Ihr denkt.«
»Dann erklärt es mir.«
»Maribelle ist die ältere Schwester. Als sie noch jung war und Loretta kaum mehr als ein Baby, starb ihre Mutter. Kurze Zeit später begann Maribelle Anzeichen des Wahnsinns zu zeigen. Ihr Zustand verschlimmerte sich Tag für Tag. Der Bürgermeister wäre sie gerne losgeworden, doch Loretta kümmerte sich bereits als kleines Kind aufopferungsvoll um Maribelle.«
Icherios schüttelte sich, um die Kälte abzuwehren, die sich seiner bemächtigte, bei dem Gedanken, Loretta in der Nähe einer Verrückten zu wissen. »Herr Arken gestattet es?«
»Loretta lässt ihm keine Wahl. Sie kann sehr starrköpfig sein. Kein Wunder bei ihrem Schicksal.«
»Sie führt doch ein gutes Leben.« Icherios musste an die Frau in Karlsruhe mit dem verhungernden Baby auf dem Arm denken.
»Sie ist der einzige heiratsfähige Nachfahre des Bürgermeisters. Wenn sie nicht heiratet und Kinder bekommt, wird seine Linie aussterben.«
»Das sollte kein Problem sein. Sie ist hübsch, aus gutem Haus und reich.«
»Und sie hat eine verrückte Schwester. Kein Mann wagt es, ihr den Hof zu machen aus Furcht, sie würde dasselbe Schicksal ereilen. Einzig Calan von Sohon zeigt Interesse. Der Bürgermeister ist davon begeistert, seine Tochter wird in eine wohlhabende Adelsfamilie einheiraten! Aber Loretta fürchtet das Dasein als Vampir.«
Icherios hielt kurz an, um Luft zu holen. »Dann will sie ihn nicht?«
»Das kann ich nicht beurteilen, aber sie hat mit Sicherheit Angst, ihre Schwester zurückzulassen. Vor allem solange die Grabende Helene im Haus ihr Unwesen treibt.«
»Wer ist denn das nun schon wieder?«
»Der Hausgeist der Familie Arken. Beim Bau des Anwesens fiel sie in einen Erdspalt und wurde bei lebendigem Leib begraben. Erst Stunden später fand man sie tot, erstickt, mit aufgeplatzten Fingerkuppen und gesplitterten Fingernägeln von dem Versuch, sich in die Freiheit zu graben. Seitdem spukt ihre Seele im Haus umher. Manche Leuten behaupten sogar, dass die Grabende Helene der Grund für Maribelles Wahnsinn ist.«
»Warum wird das Gebäude nicht abgerissen und ein neues gebaut?«
Kolchin sog entsetzt die Luft ein. »Damit würde man den Geist entwurzeln und erzürnen, und er würde an allen Rache üben. Bisher war sie ein friedlicher Gast, und niemand kann beweisen, dass sie an Maribelles Leid Schuld trägt.«
Schweigend gingen sie weiter. Icherios fragte sich erneut, ob er träumte. Es passte nicht in seine Vorstellung der Wirklichkeit, dass er über das Verhalten von Geistern diskutierte. Sein Blick schweifte in die Ferne. Dichte Wälder hüllten die Berge in ein grünes Kleid. Von den weißen Gipfeln wehte ein kalter Herbstwind und brachte den frischen Geruch nahenden Schnees mit sich. Unter ihnen erstreckte sich das Tal. An seinem Tiefpunkt lag ein moosgrüner See. Die Stadtmauer führte an seinem Ufer vorbei bis zu einer Brücke, die zu einer Insel hinüberführte auf der eine schiefergraue, mit zahlreichen eckigen Türmchen und Gebäuden verschachtelte Kirche stand. Um das ganze Dorf und den See herum war der Wald gerodet worden. Im Osten stiegen mehrere Rauchsäulen auf, verwoben sich zu einer einzigen grauen Masse, die dem Himmel entgegenstrebte, bevor sie im Höhenwind zerstob. »Von wo kommt der Rauch?«
»Das ist die Köhlerei. Die meisten Menschen und Werwölfe Dornfeldes arbeiten entweder als Holzfäller oder Köhler.«
»Ist es nicht gefährlich so weit entfernt von den sicheren Mauern des Ortes?« Icherios dachte schaudernd an die Irrlichter.
»Die Köhlerei ist von einer Mauer umgeben und wird im Sommer, wenn es viel Arbeit gibt, zudem gut bewacht. Früher lag sie
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