Alchemie der Unsterblichkeit
neben dem Ort, doch dann griff das Feuer in einer stürmischen Nacht auf ein Haus über. Die halbe Stadt brannte nieder, Unzählige fanden den Tod, bevor es gelöscht werden konnte.«
Sie gingen weiter und standen wenige Minuten später vor der massiven Tür der Leichenhalle. Icherios zögerte, sie zu betreten. Erinnerungen an Geschichten über Tote, die zum Leben erwachten, jagten einen Schauer seinen Rücken hinunter. Kolchin kannte kein Zögern und riss die Tür schwungvoll auf. Merelle Sgund lag unverändert in der Mitte des Raumes. Die vergitterten Fenster ließen genug Licht herein, um ein müheloses Arbeiten zu gewährleisten. Den typischen Leichengeruch bemerkte der junge Inspektor nur am Rande. Er zog einen der freien Tische zu der Leiche. Staubflocken wirbelten auf und tanzten einen Reigen in den Sonnenstrahlen.
Sorgfältig breitete er seine Werkzeuge auf einem weißen Tuch aus. Seinen Hut platzierte er samt Maleficium daneben. Kolchins Augen weiteten sich beim Anblick des Tieres. »Sie haben eine Ratte in Ihrem Hut!«
»Das ist Maleficium, eine ausgebildete Spürratte«, erklärte Icherios mit einem breiten Grinsen.
»Wie ein Suchhund?«
Icherios unterdrückte ein Seufzen. Kolchin war zu leichtgläubig. »In der Tat, nur handlicher.«
Kolchin streckte der Ratte behutsam die Hand hin. Deren Schnurrhaare bebten kurz, dann krabbelte sie den Arm des Flurhüters empor und setzte sich auf seine Schulter. Dieser lachte vergnügt. Das Gute an ihm war, dass er sich nicht zu viele Gedanken machte und verbissen auf seiner eigenen Meinung beharrte.
»Ich werde jetzt mit der Obduktion beginnen. Falls Sie einen empfindlichen Magen haben, sollten Sie lieber gehen.«
»Ich bin einiges gewohnt.«
Mit einem Schulterzucken wählte Icherios ein Skalpell. Dann besann er sich und ergriff zuerst eine Spritze aus Metall mit gläsernem Hohlkörper. Er suchte eine Ader am Arm der Leiche und bemühte sich, etwas von dem verbliebenen, schwarzen Blut aufzuziehen. Sorgfältig packte er es weg, um die Substanz später zu untersuchen. Anschließend nahm er erneut das Skalpell und vergewisserte sich, dass Kolchin seine Meinung nicht geändert hatte. Vorsichtig begann er mit der Obduktion. Das Erste, das ihm auffiel, war die Weichheit des Körpers. Im Vergleich zu einem Menschen war ihr Fleisch schwammig und dehnbar. Dann stieß er auf das Herz. Wäre das Herz eines Menschen ein kräftiger Baum, so wäre Merelles Herz ein vertrockneter, kleiner Busch. Schlaff und kümmerlich lag es in Icherios’ Händen. Die Zeit verging, ohne dass er es bemerkte. Ständig stellte er neue Eigenarten fest, fertigte Notizen und Zeichnungen an.
»Wie ich sehe, sind Sie bereits bei der Arbeit.«
Sohons Stimme war unverkennbar, doch Icherios hatte niemanden den Raum betreten hören. Vor Schreck zuckte er zusammen, das Skalpell in der Hand. Tief drang die Klinge in seine Handfläche. Erst als er das Messer herauszog, setzte der Schmerz ein. Das Blut lief an seinen Fingern entlang und tropfte dann auf den Boden.
»Sie sollten vorsichtiger sein.« Sohon bewegte sich geschickt von einem schattigen Flecken zum nächsten und reichte ihm ein Tuch. Seine Augen leuchteten rot. »An diesem Ort ist es nicht klug, Blut zu vergießen.«
Icherios nickte zögerlich. Trotz all der Beweise weigerte sich sein Verstand immer noch, die Existenz von Vampiren zu akzeptieren. Sohon tippte gegen das Kreuz aus Waldglas auf Icherios’ Brust. Seine Fingernägel schimmerten gläsern. »Das bietet keinerlei Schutz.«
»Es ist ein Geschenk.« Trotzig starrte Icherios ihn an.
»Seien Sie vorsichtig. Manch einer meiner Artgenossen könnte sich beleidigt fühlen.«
»Der Pfarrer trägt auch ein Kreuz.«
Sohon strich sanft über Merelles Wange. »Er ist nicht so sehr auf mein Wohlwollen angewiesen wie Sie. Haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen?«
»Ja«, Icherios drehte sich zum Leichnam um. »Die Anatomie von Vampiren ist äußerst faszinierend. Obwohl ihr Herz offenbar nur unmerklich schlägt, zirkuliert das Blut weiterhin. Ich habe bisher keine Erklärung dafür gefunden.«
»Ich meinte Hinweise auf den Mörder.«
Verlegen blickte Icherios zur Seite. »Leider nicht viele.« Bedächtig griff er nach dem Skalpell und begann, es gewissenhaft zu reinigen. Seine Hand pochte schmerzhaft bei jeder Bewegung. »Die Art wie der Täter den Kopf abtrennte, sagt mir, dass er zur Hast gezwungen wurde. Entweder näherte sich jemand, oder er ist nicht so selbstsicher, wie er uns glauben
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