Alchemie der Unsterblichkeit
meine Meinung nicht gefragt. Doch glaubt nicht, dass ich eine Leichenschändung klaglos hinnehmen werde.«
Mit aller Würde seines kirchlichen Amtes verabschiedete er sich. Nur das Zittern seiner Schultern zeugte von seiner Erregung.
»Der wird uns noch Ärger machen«, murmelte Rabensang in seinen Bart.
»Nicht mehr als sonst auch.« Die Stimme des Bürgermeisters klang verkrampft fröhlich.
»Ist eine Exhumierung wirklich notwendig?« Sohon forschte in Icherios’ Gesicht nach den wahren Absichten des Gelehrten.
»Wenn ich nicht erst auf die nächste Leiche für meine Untersuchungen warten soll.«
»Dann ist es entschieden. Montagmorgen werde ich Arbeiter schicken. Vorher ist es nicht möglich. An einem Samstag die Leichenruhe zu stören, würde auch die verständnisvollsten Menschen erzürnen. Kümmern Sie sich nicht um Bernsten. Er gerät schnell in Zorn, kühlt aber ebenso rasch wieder ab.«
Icherios setzte bereits zu einer Antwort an, als die Tür aufsprang. Eine atemberaubende Frau mit langen, rabenschwarzen, sanft gelockten Haaren stürmte hinein. Ihre edle Kleidung und ihr Schmuck deuteten auf eine adelige Herkunft. Sohon seufzte, ging aber mit einem Lächeln auf die dunkle Schönheit zu und küsste sie auf die Wange. »Schwesterherz, was führt dich zu uns? Ich dachte du wärst zu einem Ball deiner Freunde gereist?«
»Wie könnte ich auf ein Fest gehen, ohne unseren neuen Besucher zu begrüßen?« Sie schob ihre Unterlippe schmollend nach vorne. »Es war schändlich von dir, eine so faszinierende Person vor mir zu verbergen.«
»Er ist hier, um zu arbeiten, und braucht keine Ablenkung«, wies Sohon sie zurecht. »Aber ich bin unhöflich. Inspektor, dies ist meine Schwester Carissima von Sohon. Schwesterchen, Icherios Ceihn, der Inspektor aus Karlsruhe.«
Icherios ergriff ihre Hand. Er setzte zu einer Verbeugung an, doch sie presste sich an ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Ein Duft von Nachtviolen und Wunderblumen umgab sie.
»Hier in den Bergen sind wir nicht so förmlich.«
»Du vielleicht nicht, anständige Menschen schon.« Loretta rauschte durch die geöffnete Tür.
»Wer will anständig sein, wenn er Spaß am Leben haben kann?«
»Meine Damen, das ist nicht der passende Moment für philosophische Diskussionen«, mischte sich Sohon ein. »Es ist spät und Angelegenheiten, die keinen Aufschub dulden, warten auf mich.« Er deutete eine Verbeugung in Richtung des Bürgermeisters an. »Vielen Dank für die Einladung, wenn Sie mich entschuldigen.« Sohon packte seine Schwester am Arm und zog sie mit nach draußen. Icherios konnte sehen, wie sie unwillig die Zähne fletschte.
Der Rest stand hilflos im Raum herum, bis sich einer nach dem anderen verabschiedete.
12
Geheimnisse
G
M it einem leisen Quietschen schloss sich die Tür hinter Pfarrer Bernsten. Seine dunkle Robe raschelte über den Teppich. Sorgenfalten zogen steile Linien durch sein zerfurchtes Gesicht. Er verabscheute diesen Raum. Die Kadaver an den Wänden grinsten ihn an wie Ausgeburten der Hölle. Wären es wenigstens Wolfsschädel. »Wir müssen die Exhumierung verhindern!« Er hatte sich entschieden, den Bürgermeister noch einmal aufzusuchen, um die Frage der Exhumierung zu bereden, aber er beabsichtigte keine Zeit mit unnützem Gerede zu verschwenden.
Der Bürgermeister wischte seine feuchte Stirn mit einem spitzenverzierten Tuch ab. Die Dinge entwickelten sich nicht wie erwartet. »Mit Ihrem Auftritt haben Sie uns nicht gerade gedient.«
»Sollte ich etwa zulassen, dass die Särge geöffnet werden?«
»Fürst Sohon wird sowieso tun, was dieser Taugenichts empfiehlt, Einwände sind da zwecklos. Es wäre ratsam gewesen, die Aufmerksamkeit nicht auch noch auf uns zu lenken.«
»Und was sollen wir jetzt unternehmen?«
Arken verzog ärgerlich das Gesicht. Erst forderte Bernsten einen Gefallen ein für eine Sache, die lange Jahre zurücklag, und nun geriet er auch noch in Panik und gefährdete damit sie beide. »Nichts, wir warten erst mal ab. Der Inspektor wird überrascht sein, wenn er die Gräber öffnet.«
»Sie hätten niemals zulassen dürfen, dass Sohon einen Gesandten der Kanzlei herbeiruft.«
»Wie hätte ich das bitteschön bewerkstelligen sollen, ohne unangenehme Fragen beantworten zu müssen? Dieser Ceihn ist sowieso ein Narr. Er wird schon nichts herausfinden.« Arken wischte sich seine Stirn mit einem Tuch ab.
»Er schnüffelt aber herum. Du weißt, dass wir viel zu verlieren haben.«
Arken
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