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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Schiff arbeitete sich durch die Fluten, so gut es ging. Aber das Wasser fing an durch die Vorderluken zu dringen wie durch ein Sieb. Eine Stunde später begann das Meer das schwere Heck zu überspülen, und das Schiff bekam Schlagseite.
    Kapitän Koumi – der künftige Pate von Michaelis’ und Angelas Kind – fragte Diamantis: »Weißt du ein gutes Gebet?« Er schüttelte den Kopf. »Gebete, weißt du …«
    »Dann sag dem Funker, er soll die Küstenwache rufen. Wir verlassen die Stella Maris. «
    Das war ein Befehl. Da gab es keine Widerrede. Koumi kannte sein Schiff, das Mittelmeer und seine Unwetter genau. Und er liebte das Leben. Sie kamen nicht mehr dazu, das Rettungsboot runterzulassen. Das Schiff kenterte und zog sie mit in die eisigen Fluten.
    Bei Tagesanbruch lag die Stella Maris fünfundzwanzig Meter tief auf dem Meeresboden. Dahingerafft von den »dynamischen Folgewirkungen eines aufgewühlten Meeres«, wie die Küstenwache sich ausdrückte. Es half nichts, die Suche bis zum erneuten Einbruch der Dunkelheit fortzusetzen, Diamantis blieb der einzige Überlebende.
    Seitdem war Diamantis der Pate von Anastasia, einem süßen kleinen Mädchen von fünf Jahren. Und er hatte eine Heidenangst vor Unwettern.
    Er zog eine Unterhose über, steckte eine Kippe an und ging in die Messe, um ein Bier zu trinken.
    Abdul kam dazu. »Unmöglich, zu schlafen«, brummte er.
    »Bier?«, fragte Diamantis und reichte ihm eine Dose. Dann erzählte er ihm das Drama der Stella Maris.
    »Ich kannte mal einen Typ«, knüpfte Abdul an, »als ich über die Azoren den Atlantik kreuzte, Colm Toibin, einen Iren, der liebte es, im dicksten Sturm draußen auf der Brücke zu stehen. Er sagte: ›Ihr habt ja keine Ahnung, Leute, wie beeindruckend das ist. Was für ein Schauspiel! Teufel! Dieses gewaltige Meer! … Es kommt immer ein Moment, in dem die Angst zu Schrecken wird.‹ Er liebte das. Und er hatte Glück! Denn wir haben eine ganze Reihe von kritischen Situationen zusammen durchgemacht. Jedes Mal, wenn wieder Ruhe eingekehrt war, meinte er grinsend: ›Jepp, das war ja gar nicht so schlimm, da können wir noch ganz andere Stürme vertragen, was!‹ Wir haben entgegnet: ›Könnte gut sein, dass du deine Meinung bald änderst.‹«
    »Und, hat es ihn schließlich erwischt?«
    »Er hat an Bord der Sea Land Performance Schiffbruch erlitten. Ein Frachter, der die Nordeuroparoute fuhr, am nördlichen Polarkreis. Der Frachter ist in das schwerste Unwetter geraten, das in den letzten zweihundert Jahren registriert wurde.«
    »Du übertreibst.«
    »Ich hab es von Colm selbst. Und ich glaub nicht, dass er übertrieben hat. Wir haben uns im Spray in Gibraltar wieder getroffen. Reiner Zufall. Bei zwölf Bieren hat er mir von seinem Unwetter berichtet.«
    »So viel haben wir nicht da. Aber wir können die beiden letzten aufmachen.«
    Es spielte keine Rolle, ob die Geschichte wahr war oder nicht. Beide wussten, dass Geschichten von der See vom Erzählen leben. Nicht dass sie erfunden wurden, nein, aber derjenige, der sie erlebt hat, sperrt sich beim Erzählen gegen seine eigenen Ängste. Durch die Erzählung verleiht er den Ereignissen eine Logik. Und damit seinem täglichen Leben als Seemann einen Sinn.
    Abdul Aziz und Diamantis waren da nicht viel anders. Jede Geschichte vom Leben an Bord und insbesondere von Unwettern war absolut ernst zu nehmen. Auch wenn sie nicht ganz wahrheitsgetreu war. Zweifellos war Colm Toibins Schiffbruch so schrecklich auch wieder nicht gewesen. Aber jetzt waren sie davon überzeugt.
    »Der Kapitän, hat er mir erzählt, ist zweiundfünfzig Stunden auf der Brücke geblieben, um zu versuchen, das Schiff zu retten. Er beschleunigte in den Wellentälern und bremste vor den Kämmen, um den Rumpf nicht zu sehr zu belasten. Ein wirklich guter Kapitän eben. Als es geschah, hatte er Wache auf der Brücke, als Ausguck. Dort wollte er sein, darauf bestand er, und niemand hat ihm den Platz streitig gemacht.«
    »Verdammt, das glaub ich gern.«
    »Schon, aber … Da hat er angefangen, sich in die Hose zu machen. Weil die Brücke von einer dreißig Meter hohen Welle überschwemmt wurde. Die Brecher haben den Mast umgerissen, und ein fünfundvierzig Tonnen schwerer Kran lag auf dem Deck. Er knallte auf dem völlig zerstörten zweiten Deck wie ein Rammbock gegen das Ruderhaus.«
    »Da hat ihn Panik ergriffen …«
    »Anzunehmen. Sicher ist, dass er plötzlich auf dem Hintern saß. Dann ist er auf dem Rücken den Laufgang

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