Aldebaran
Frauen vor?«, konterte er trocken und war plötzlich überzeugt, die Beziehung zwischen den beiden Frauen verstanden zu haben.
Gaby lachte auf. Ein tiefes Lachen. Rau und warm. Ein ehrliches Lachen. Nedim lachte mit. Über sich selbst und die Dummheit, die er soeben gesagt hatte, wie ihm jetzt klar wurde.
»Du fummelst zu viel an dir selber rum, auf deinem Kahn!« Sie nahm seinen Arm und zog ihn zum Ausgang. »Holen wir deinen Seesack und gehen?«
»Habt ihr einen Wagen?«
»Taxi.«
»Taxi! Die werden um diese Zeit nicht gerade in rauen Mengen hier rumkurven.«
»Lalla ist eins rufen gegangen.«
Nedim sagte sich, dass er sich noch rechtzeitig von diesem Arm befreien konnte, der ihn Richtung Ausgang zog. Eine Entschuldigung finden. Aber er hatte nicht die Kraft. Außer über den Daumen zu peilen, wie viel Geld er noch in der Tasche hatte. Er gestand sich zu, weitere fünfhundert Francs auszugeben. Maximal. Nach Abzug der Bezahlung für Pedrag, den Fernfahrer, würden ihm noch etwa hundert Francs bleiben. Das war nicht viel. Aber einmal zu Hause, würde er sich schon durchschlagen.
Lalla gesellte sich in der Garderobe wieder zu ihnen, wo Nedim seine Sachen abgestellt hatte. Ein dreckiger Seesack von der U. S. Navy, voll gestopft mit alten Lumpen und einigen Erinnerungsstücken, die er in den vier Jahren, die er jetzt zur See fuhr, mit sich herumschleppte.
»Na bitte, ihr seid ja schon gute Freunde«, bemerkte Lalla leichthin.
Gaby lächelte, und Nedim hatte das Gefühl, in eine Falle gegangen zu sein. Ein Schrank von Mann hielt ihnen die Tür auf und wünschte gute Nacht. Nedim sah das Augenzwinkern nicht, das er mit Gaby tauschte. Draußen war die Luft feucht. Es hatte noch immer nicht geregnet. Das Taxi wartete.
5 Erinnerungen, die den Schiffbruch ankündigen
Erst entlud es sich auf dem Meer. Dann über der Stadt. Ein gewaltiges Unwetter, wie sie nur zwei oder drei Mal im Jahr losbrechen. Jedes Mal, wenn blaue und grüne Blitze den Horizont entflammten, tauchten das Château d’If und die Frioul-Inseln aus der Dunkelheit auf. Der Donner folgte wenige Minuten danach. Kein Grollen wie gewohnt, sondern ein alles zerreißendes Krachen. Trocken, kalt, metallisch.
Die Aldebaran begann zu stampfen. Der Rumpf schien zu bersten. Dann kam der Regen. Riesige, harte Tropfen, fast Hagel. Man hätte meinen können, dass der Frachter in einen Schusswechsel geraten war. Beim ersten Donnerschlag war Diamantis von seiner Koje aufgesprungen. Wegen der Hitze hatte er schlecht einschlafen können. Seine Kabine – wenn man das Kabuff so nennen konnte – war der reinste Backofen. Er hatte sich nackt ausgestreckt, aber selbst so triefte er vor Schweiß. Und wenn er nicht schlief, dachte er nach. Oder besser gesagt, die versprengten Gedanken prasselten auf ihn nieder und erzeugten einen Wirbelsturm in seinem Kopf. Formten sich zu düsteren Vorstellungen. Seit sie hier festsaßen, wachte er nachts immer öfter auf. Heute hatte das Gewitter dafür gesorgt.
Jetzt verfolgte er das Schauspiel durch sein Bullauge. Seine Kabine an Backbord ging zum offenen Meer hinaus. Er stellte sich vor, auf hoher See zu sein. Nicht auf der Aldebaran, sondern auf der Stella Maris, einem großen Küstenschiff. Sie befuhr die klassische Schifffahrtsroute im Mittelmeer. Man be- und entlud in jedem Hafen. Diamantis war überraschend für Michaelis eingesprungen, einen alten Freund, dessen Frau kurz vor der Niederkunft stand. »Ich kann dich nicht davon abhalten, zur See zu fahren«, hatte sie vor ihrer Heirat gesagt. »Aber wenn du ein Kind von mir willst, hör auf, so lange wegzufahren.« Michaelis hatte nicht gezögert. Er war gerade fünfzig geworden. Angela war zwanzig Jahre jünger als er, und sie war wirklich sehr hübsch. Mit der Stella Maris konnte Michaelis alle zwei Wochen zu Hause sein.
In jener Nacht, Ende Januar, war die Stella Maris aus Limassol auf Zypern ausgelaufen und nahm Kurs auf Beirut. Sie waren auf einen kräftigen Schauer vorbereitet. Es kam schlimmer. Ein Unwetter, wie das Mittelmeer es manchmal hervorbringt. Denn dieses Meer ist keineswegs ein ruhiges Meer. Es ist ein Musterbeispiel für die stürmischen Launen der See.
Bug und Heck der Stella Maris hatten fünfunddreißig Jahre auf dem Buckel, das Mittelschiff sechs Jahre weniger. Es war ausgebaut worden, um größere Ladungen stauen zu können. Gegen elf blies der Wind in Böen von hundertzehn Stundenkilometern, und der Wellenkamm wuchs auf acht Meter Höhe an. Das
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