Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
Vom Netzwerk:
Seesacks zu fordern. Geschweige denn den Mut.

6 Wie ein Glas Rum, in einem Zug hinuntergestürzt
    Kaum hatten sie das Habana betreten, wusste Nedim, dass er verarscht worden war. Das Lokal war winzig. Eine Theke auf der Linken. Zwei Mädchen auf hohen Barhockern tuschelten mit dem Barmann, einem dicken Schnauzbärtigen mit rasiertem Schädel. Vor ihnen eine kleine Tanzfläche, auf der drei Paare die Hüften schwangen. Darum herum etwa ein Dutzend abgeteilte Nischen. Er machte ein ineinander verschlungenes Paar aus. »Intimer«, hatte Lalla gesagt, und intimer gings wohl nicht mehr. Aber, das musste er zugeben, die Musik war alles andere als mickrig. Er meinte die warme Stimme von Ruben Blades zu erkennen. Was Rhythmus anging, hatte Marseille ein musikalisches Gehör.
    Nedim ließ sich von Lalla und Gaby in eine der Nischen führen. Er fragte sich, wie er da wieder rauskommen sollte. Das heißt, er wusste es. Er musste konsumieren. Er hatte solche Bars, Nachtclubs, schon öfter besucht. Nie allein, immer zu zweit oder dritt. Am Ende einer durchzechten Nacht an Land. Das letzte Glas, bevor es wieder auf See ging. Die Mädchen waren ihnen nie auf den Wecker gegangen.
    »Gibst du uns einen aus?«, fragte Lalla.
    »Gin Tonic für mich.«
    Den hatte er jetzt nötig. Um sich wieder zu fangen. »Einen trinkst du mit, und dann verziehst du dich«, sagte er sich. Lalla verschwand Richtung Theke. Er konnte nicht anders, als ihr nachzusehen. Dieses Mädchen bewegte sich unglaublich graziös. Ihre Umarmung vorhin im Blauen Papagei fiel ihm wieder ein. Sein Körper wollte mehr davon.
    »Sie ist süß, nicht?«
    Gaby saß ihm gegenüber, ein Lächeln auf den Lippen.
    »Ihr seid Nutten, stimmts?«
    »Nutten?«, entgegnete Gaby. »Sag mal, wer hat uns denn angequatscht, Nedim? Glaubst du wirklich, du brauchst nur mit ein paar Scheinen wedeln, und schon machen wir die Beine breit?« Sie war mit dem Gesicht hautnah an ihn herangekommen. Er nahm ihren strengen Moschusgeruch wahr. Der Geruch ging ihm durch und durch. Bis ins Blut. Wie ein Glas Rum, in einem Zug hinuntergestürzt. Ihm wurde ganz warm unter der Haut. Sie ist bestimmt gut im Bett, dachte er. Aber er sah sie nicht an, aus Angst, sie könnte ihm seine Gedanken von den Augen ablesen. Und er stellte sich vor, wie sie sich ihm anbot.
    »Nun, was seid ihr dann?«
    Er zündete sich eine Zigarette an, und während er den Rauch ausblies, sah er zu ihr auf. Sein Blick streifte Gabys Narbe. Dicht am Auge hatte sie die Form eines Sterns. Er hätte wirklich gern gewusst, wie sie sich die eingefangen hatte. Warum? Er konnte seine Augen nicht davon abwenden. Weit davon entfernt, ihr Aussehen zu entstellen, unterstrich die Narbe die Schönheit ihres Gesichts. Und das faszinierte ihn.
    Sie ließ es sich gefallen, dass er sie so musterte. So dreist. Dann fasste sie sich ins Haar, das sie sehr kurz trug, und lächelte.
    »Freundinnen, Nedim, wir sind gute Freundinnen«, murmelte sie und berührte ihn dabei fast mit den Lippen. »Weiter nichts. Glaub ja nichts anderes, klar? Wir amüsieren uns, das ist alles. Gehen einen Abend aus. Und du bezahlst, Süßer.« Sie streifte seine Wange mit dem Rücken ihrer Finger. Sie waren kalt. Erneut lächelte sie ihn an, ebenso kalt. Er hatte überhaupt keine Lust mehr, mit ihr im Bett zu landen. Oder sonst wo.
    Lalla glitt an seine Seite und legte einen Arm um seine Schultern. Sie presste ihr Bein gegen seins, und Nedim spürte, wie seine Körpertemperatur um einige Grad anstieg. »Ist doch cool hier, oder? Gefällt es dir?«
    Er wollte antworten, etwas Boshaftes. Aber das Auftauchen des Barmanns verschlug ihm die Sprache. Auf dem Tablett stand ein Gin Tonic, aber auch eine Flasche Champagner und zwei Gläser.
    »Habt ihr das bestellt?«
    »Wir hatten ein wenig Durst«, gab Lalla zurück und lehnte ihren Kopf an seinen.
    Sie nippte kaum an dem Glas.
    »Willst du tanzen?«
    Nedims gute Vorsätze lösten sich in Luft auf, sowie er sie in den Armen hielt. Ihr Körper klebte an seinem, und sie streichelte seinen Nacken mit den Fingerspitzen. Er fühlte sich glücklich mit diesem Mädchen. Ein Gefühl, das er noch nie erlebt hatte. Dennoch sagte er sich immer wieder, dass sie nur ihren Job machte und ebenso gut ein anderer an seiner Stelle hätte sein können.
    »Du kriegst ja gar keinen mehr hoch«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
    »Das liegt am Champagner. Der muss ganz schön teuer sein.«
    »Wir dürfen nichts anderes bestellen, wenn wir Freunde

Weitere Kostenlose Bücher