Aldebaran
Wem er diese Transaktion zu verdanken hatte, wusste Diamantis nicht, aber er musste zugeben, dass sie schlau eingefädelt war.
»Einverstanden«, schnappte er nach einer kurzen, fingierten Gedenkzeit.
Weil er ihn immer als verloren oder gestohlen melden konnte. Es würde Zeit brauchen, einen neuen zu bekommen, aber Zeit hatte er reichlich. Nedim nicht. Als er gestern Abend den Geschichten von Nedims Missgeschicken gelauscht hatte, war ihm klar geworden, dass es für Nedim höchste Zeit war, heimzukehren. Dass er heiratete und sich niederließ. In seinem Zustand war Nedim zu jeder Dummheit fähig.
»Wann läuft Ihr Schiff aus?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht nie.«
»Nie?«
Diamantis zuckte mit den Schultern, dann holte er seinen Ausweis hervor und reichte ihn Dug. Dieser schlug ihn auf der Seite mit dem Passfoto auf.
»Diamantis«, bemerkte er.
»Wie es geschrieben steht.«
Diamantis steckte Nedims Ausweis in seine Hemdtasche, schulterte den Seesack und ging hinaus. Grußlos.
Nedim heulte vor Rührung. »Du bist einsame Spitze. Wie hast du das nur gemacht?«
»Erzähl ich dir später. Ich hab Durst.« Diamantis winkte nach dem Kellner. Nedim kramte in seinem Seesack und brachte eine gewaltige, alte, handgenähte Brieftasche aus abgenutztem Leder zum Vorschein. Über sein Gesicht huschte ein listiges Lächeln.
»Ich lade dich ein«, sagte er triumphierend. Damit legte er hundert Dollar auf den Tisch. Er lachte laut. »Du wirst mir nicht glauben, Diamantis, aber ich hatte ganz vergessen, dass ich das Geld noch hatte. Es ist mir über Nacht eingefallen. Ich habe mich hin und her gewälzt, und da ist es mir wieder eingefallen. Und dann die Angst, zum Teufel! Nedim, hab ich mich gefragt, hast du das Geld schon auf den Kopf gehauen oder nicht? Ich wusste es nicht mehr, Diamantis. Die ganze Nacht hab ich darüber nachgedacht. Bekloppt, nicht?«
»Du bist der Bekloppte.«
Er lachte aus vollem Hals, glücklich wie ein kleines Kind.
»Zum Schluss haben wir sie doch noch schön reingelegt, diese Trottel!«
»Nicht ganz.« Diamantis klärte ihn über den Handel auf.
»Scheiße!« Er schwieg einen Moment, dann sagte er sich, dass er mit diesen Schulden nichts mehr zu tun hatte. Er hatte alles wiederbekommen. Mit hundert Dollar obendrein. »Willst du das Foto von meinen Eltern sehen?«
Er reichte Diamantis ein altes, vergilbtes Foto. »Die Dollar waren an die Rückseite geheftet. Ein schönes Paar, nicht?«, meinte er und nahm das Foto wieder an sich. Er betrachtete es zärtlich und küsste es zweimal. Dann steckte er es zurück in die Brieftasche und die Brieftasche in den Seesack. Diamantis schob die Dollar zu Nedim. »Dieses Geld behältst du. Das rührst du nicht an, Nedim. Hast du kapiert? Du suchst dir einen anderen Fernfahrer und fährst so bald wie möglich nach Hause.«
»Schon, aber die Kippen und so? Außerdem, wie soll ich dann ein paar Gläser trinken? Verdammte Scheiße!«
»Wir finden schon einen Weg. Ich rede mit Abdul.«
»Ja«, sagte er kleinlaut wie ein bestrafter Junge.
»Nedim, ich schwöre dir, wenn du das Geld verschleuderst, schlag ich dir die Fresse ein.«
Nedim senkte die Augen. »Hast du die Mädchen eigentlich gesehen?«
»Nein«, log Diamantis. »Da war nur Dug.«
»Elender Neger!«
Diamantis stand auf, bezahlte die Getränke und reichte Nedim seine kaum angebrochene Schachtel Zigaretten.
»Gehst du?«
»Ich hab noch was zu erledigen. Bis später.« Er beugte sich zu ihm. »Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, Nedim. Ehrlich, ich schlag dir die Fresse ein.«
Diamantis kam gerade recht zum Sonnenuntergang hinter dem Clocher des Accoules an den Hafen. Er blieb reglos stehen. In den letzten roten Strahlen des Tages. So war Marseille, dachte er. Die Stadt versprach nichts, ließ nichts ahnen. Sie begnügte sich damit, überreichlich zu geben. Man brauchte nur zu neh men. Zu nehmen wissen.
14 Man hat nur das im Leben: das Leben selbst
Trotz der frühen Stunde war das Mas voll. Ein Kellner trat auf Diamantis zu.
»Haben Sie reserviert?«
»Nein«, antwortete er. »Eigentlich suche ich jemanden.«
»Tun Sie das.«
Diamantis durchquerte den Saal. Von den diversen Gerichten stiegen appetitliche Düfte auf. Sein Magen zog sich zusammen. Nachdem er sich von Nedim getrennt hatte, hatte er sich auf der Terrasse der Bar de la Marine am Hafen die Zeit vertrieben. Der Treffpunkt der Yachtsegler. Die Atmosphäre gefiel ihm. Er hatte vier oder fünf Bier getrunken, wie viele
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