Aldebaran
Spielen wir denn noch?«
»Warum sollten wir nicht mehr spielen?«
Nedim korkte die Flasche wieder zu, ein Lächeln um den Mund. »Ich werd Ihnen schon zeigen, ob ich eine Niete bin! Verdammt, ich werds Ihnen geben, aber wie!«
Aber Nedim war nicht mehr nach Spielen zu Mute. Abdul Aziz jagte ihm ein wenig Angst ein. Übergeschnappt, dachte er. Er würde sich lieber in die Falle hauen. Haufenweise Frauen erwarteten ihn für die Nacht. Superweiber. Erregend wie nur was. Jedenfalls aufregender, als mit einem Spinner an einem Tisch zu sitzen und Dominosteine aneinander zu reihen. »Oh, Aysel!«, seufzte Nedim.
16 Ti sento addosso e non ci sei
Der Schmerz weckte Diamantis. Ein Schmerz, den er nicht lokalisieren konnte. Er lag auf dem Rücken, die Augen weit aufgerissen. Das Schlafzimmer war in mildes Dämmerlicht getaucht. Er erahnte die Hitze hinter den Fensterläden. Das Tageslicht. Er lag allein in dem Bett, und kein Lärm drang zu ihm durch. Daraus schloss er, dass Mariette und Laure schon gegangen waren und es spät sein musste.
Er drehte den Kopf nach links. Der Wecker zeigte zehn vor neun. So spät war es auch wieder nicht. Er konnte noch ein wenig schlafen. Das würde ihm gut tun. Aber der Schmerz war zu stark. Er hatte ein trocknes, pelziges Gefühl im Mund. Neben dem Wecker, nicht zu übersehen, ein Glas Wasser. Eine Aufmerksamkeit, aber nein, er brauchte kein Wasser, sondern Kaffee. Ein Kaffee, ja, das wäre nicht schlecht.
Er rollte sich auf die Seite. Die Knüppelschläge auf Rücken, Schultern, Armen und Beinen machten sich wieder bemerkbar. Der Schmerz hatte nichts an Intensität verloren. Verdammt. Er nahm ihm den Atem. Sein Herz begann zu rasen, wie gestern Abend auf der Straße. Die Angst, die erneut in ihm hochstieg, drückte ihm auf die Blase. Pinkeln und einen Kaffee trinken.
»Na komm schon, streng dich an«, sprach er sich Mut zu. Sein Körper wollte nicht gehorchen. Sein gemarterter Körper verweigerte die Bewegung, den Schmerz. Im Bett ging es besser. »Aber selbst so tut es dir weh!«, schnauzte er sich an. »Also, wenn du aufstehst …«
»Du stehst auf, pinkelst, trinkst einen Kaffee und schluckst eine Schmerztablette.« Das wiederholte er sich laut und deutlich, während er vorsichtig erst das eine und dann das andere Bein bewegte. Er setzte sich auf die Bettkante. »Besser zwei Schmerztabletten. Ja. Und danach legst du dich wieder hin. Alles klar?«
Nein, war es nicht. Bei jeder Bewegung durchzuckte ihn der Schmerz wie ein Dolchstoß. Er musste wirklich pinkeln gehen. Das kam von dem vielen Bier, das er gestern Abend getrunken hatte. Er konnte noch von Glück sagen, dass er sich nicht während der Schlägerei in die Hose gemacht hatte. Nein, das würde nicht mehr vorkommen. Bevor er die Bar verlassen hatte, war er noch mal aufs Klo gegangen. Das tat er jetzt automatisch. Dringend oder nicht, er pinkelte, bevor er irgendwo hinging. Besonders wenn er zu Fuß gehen musste. Besonders nachts.
Es gelang ihm, sich aufzurichten. Den Bruchteil einer Sekunde. Dann klappte er zusammen. Sein Magen schrie. Verfluchte Fußtritte. Mit den Augen suchte er seine Unterhose, fand sie nicht. Ebenso wenig wie seine Kleider. Das war jetzt egal. Er bewegte sich zusammengekrümmt vorwärts. In der Toilette roch es nach Lavendel. Das war angenehm und widerlich zugleich.
Er schleppte sich zur Küche. Die Fensterläden waren ineinander gehakt. Alles aufgeräumt, sauber. Neben dem Herd stand eine kleine, italienische Kaffeemaschine, ein Paket Kaffee, eine Zuckerdose, eine Tasse, ein Löffel. Die Schachtel mit den Schmerztabletten. Seine Zigaretten und sein Feuerzeug. Und eine Nachricht von Mariette. Eine schöne Handschrift, groß und rund. »Bleib da. Ruh dich aus. Bis später.« Darunter »Dickes Küsschen«. Name und Telefonnummer von ihrem Arzt. »Für alle Fälle.«
Dieses Haus atmete Frieden und Sanftmut. Glück. Er kochte sich Kaffee. Auf dem Platz spielten Kinder. Fußball. Das konnte er an ihren Schreien hören. Er nahm zwei Schmerztabletten, einen Schluck Wasser, füllte das Glas erneut und goss das Basilikum auf der Fensterbank. Sofort breitete sich sein Geruch aus. Er liebte diesen Duft. Er gehörte zum friedlichen Leben.
Er stellte das Radio ein und setzte sich an den Tisch. Nachrichten. Mit ihrer üblichen Dosis an Gewalt, Hass und Toten. Bosnien erinnerte an den Libanon. Ruanda an Bosnien und Libanon zusammen. Schlimmer noch. Die Menschen hatten nichts Besseres im Kopf, als sich gegenseitig
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