Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
Vom Netzwerk:
gefragt.
    Gaby hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen, schockiert. »Der Typ da. Bei Dug.«
    Lalla hatte sich den Typ diskret aus der Nähe angesehen und war zu Gaby zurückgekehrt. Sie sog krampfhaft an einer Zigarette. »Wer ist das?«
    »Den hab ich mal geliebt. Vor langer Zeit. Er erinnert sich bestimmt nicht einmal mehr an mich.«
    »Na und?«
    »Verstehst du denn nicht, Lalla. Wir nehmen einen Dummkopf aus, und ich stolpere über ihn. Diamantis.«
    Nein, Lalla verstand nicht. »Was hat der Typ dir getan?«
    »Was er mir getan hat?« Gabys Blick hatte sich auf den Spuren der Vergangenheit verloren. In jener kurzen, glücklichen Zeit, als sie sich Amina nannte. Sie konnte sich an einen Augenblick erinnern. Diamantis lüftete behutsam das Sweat-Shirt, das sie direkt auf der Haut trug. Er streichelte ihren Bauch mit so viel Zärtlichkeit, dass sie ihren Körper nicht mehr spürte. Erst danach drang er in sie ein. Eine Ewigkeit danach. Da wusste sie, dass sie ihm für immer gehörte. Hinterher kam Schmutz und Dreck, aber dieser Augenblick lebte in ihr weiter.
    »Nimm mich mit«, hatte sie Diamantis ins Ohr geflüstert. »Nimm mich mit.« Kurz bevor er seinen Samen in ihren Schoß spritzte. So viel Zärtlichkeit hatte Lalla noch nie in Gabys Blick gesehen.
    »Ruf Dug.«
    Gaby war nicht die Geschäftsführerin im Habana. Aber sie war es, die die Bar in Schwung hielt. Mit Lalla. Niemand konnte die Männer so gut um den Finger wickeln. Die drei anderen Mädchen, die dort beschäftigt waren, konnten ihnen nicht das Wasser reichen. Zweifellos, weil Gaby und Lalla ihren Spaß bei der Sache hatten. Zweifellos ebenfalls, weil sie beide nicht an den Märchenprinzen glaubten, der sie dort herausholen würde. Und vor allem, weil sie sich weigerten, mit den Kunden zu schlafen.
    Dug konnte sich noch an das Mal erinnern, als Lalla Gaby gestand, dass sie mit einem Kunden ins Hotel gegangen war. Lalla war erst zwei Monate da. Sie war mittags kleinlaut zurückgekehrt. Gaby, die sie bei sich zu Hause aufgenommen hatte, wartete wutschnaubend im Habana auf sie.
    »Na, wie viel hat er dir zugesteckt?«
    »Tausend.« Nein, Lalla war nicht stolz auf sich. Der Typ, ein Pariser Journalist, hatte ihr das Dreifache versprochen.
    »Tausend für einmal?«
    »Für die Nacht.«
    Die Ohrfeige klatschte.
    »In einer Nacht macht jede x-beliebige Nutte aus dem Viertel leicht fünf- bis sechsmal so viel.«
    »Er hat versprochen …«
    Die zweite Ohrfeige fiel.
    »Erst das Geld, dann der Service. Das ist die Regel, Lalla. Also, wenn du lieber Nutte sein willst, merk dir das.«
    Dug war zu Gaby gelaufen wie ein folgsamer Hund. Er hatte Diamantis nicht ohne Bedauern ziehen lassen. Seine Arroganz ging ihm auf die Nerven. Er hätte ihn sich gern vorgenommen. Aber Dug hatte Angst vor Gaby. Mehr noch vor Ricardo. Ricardo gehörte das Habana. Und Gaby auch.
     
    Sie fuhren die Corniche entlang. Es gelang Nedim, seinen Blick von Lallas Beinen loszureißen, um die Reede zu betrachten. So viel Schönheit, Himmel und Meer verschmolzen miteinander, ohne dass man den Horizont genau erkennen konnte. Nedim war nie so weit gekommen. Für ihn hörte Marseille am Alten Hafen und in der unteren Hälfte der Canebière auf. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, darüber hinaus zu gehen. Die Städte existierten nicht. Ob hier oder woanders, er war nur ein gleichgültiger Durchreisender. Eine Stadt war nichts als eine Ansammlung von Bars, Nachtclubs und Nutten. Nur in Istanbul konnte er Fuß fassen. Istanbul allein existierte.
    »Schön, nicht?«, fragte Lalla.
    »Kennst du Istanbul?«
    Sie war nie aus Marseille herausgekommen. Selbst Marseille war ihr nicht vertraut. Sie war etwas außerhalb aufgewachsen. In Beaumont, einem italienischen Viertel im Osten. Bei ihrer Großmutter. In der Rue Tosca. Ein Vorstadtdorf aus Gärten, wo jeder seine Tomaten pflanzte. In den Straßen des Viertels pfiff man die gängigen Opernmelodien aus Lakmé, Aida, Manon und Norma.
    »Du wirst sehen, Istanbul haut dich um.« Er erzählte ihr von den Straßen und Avenuen. Mit dem Dröhnen der Busse, Hupen, quietschenden Bremsen, dem Stimmengewirr der Menschen, der Menge.
    »Wie hier also«, warf Lalla ein.
    »Das hier ist nichts dagegen. Weißt du eigentlich, wie Istanbul früher hieß?«
    »Konstantinopel.«
    Das erstaunte ihn. Er hatte vergessen, dass es Konstantinopel geheißen hatte.
    »Klar … Aber noch besser.«
    Er sah Lalla an. Jetzt hatte er sie. »Das Tor der

Weitere Kostenlose Bücher