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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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hatten, dem Schiffsjungen, der bei dem fingierten Unglück ums Leben gekommen war. Sie flehten ihn an, gegen den Kapitän und die Gesellschaft auszusagen. Sie betonten, dass die Seeleute bereit wären, seine Aussage zu bestätigen. Aber ohne ihn konnten sie nichts in die Wege leiten. Er war Erster Offizier auf der Cygnus. Ein Mann von Rang. Ihn würde man anhören, und die Klage würde ernst genommen werden.
    Er hatte Céphée um ihre Meinung gebeten. »Was du auch tust«, hatte sie erklärt, »ich werde immer auf deiner Seite stehen. Ich liebe dich, Abdul, und Liebe lässt sich nicht verhandeln. Aber ich kann nicht für dich entscheiden. Jeder muss selbst erledigen, was er zu tun hat, so sehe ich das. Tu, was du meinst, tun zu müssen.« Er hatte Lucios Eltern nicht geantwortet.
    Céphée redete wie ihr Onkel, der Wahrsager Diouf. Und Abdul konnte die Botschaft aus dem Herzen des Mannes nicht empfangen. Er verstand sich nur auf eine Denkweise: nach oben gelangen, niemandem verpflichtet sein. Je höher er stünde, desto besser könnte er Ungerechtigkeiten vermeiden. Kapitän war besser als Erster Offizier. Geld haben besser als Geld leihen.
    Nein, keiner konnte ihm seitdem vorwerfen, sich untreu geworden zu sein. Er konnte den Reedern die Stirn bieten, wenn es um die Löhne der Seeleute ging, um Sicherheit, Gesundheit und Komfort an Bord. Er hatte seine Mannschaft nie übermäßig angetrieben. Nie ein Schiff verlassen, auch nicht in den ärgsten Momenten. Er war mit sich selbst im Reinen.
    »Lüge«, dachte er.
    »Lüge«, dachte er seit einigen Tagen. Er war im Reinen mit der Gesellschaftsordnung, aber nicht mit sich selbst. Deshalb brachte er es nicht fertig, sich mit Diamantis auszusprechen. Er hatte ihm nur seine besten Seiten offenbart. Sogar als er sich dazu hinreißen lassen hatte, zuzugeben, dass Céphée ihn verließ und sein Leben zerbrach. Die innere Bewegtheit, die er ihm vorgeführt hatte, war gelogen. Selbstmitleid. Weiter nichts.
    Er hätte auch sein Verhalten auf diesem Mistkahn von Aldebaran erklären müssen. Denn es war Abdul Aziz nie in den Sinn gekommen, sein Versprechen gegenüber Constantin Takis nicht zu halten. Nicht einmal nach dem Drama mit der Familie Rafic. Ein Wort war ein Wort. Und es musste gehalten werden.
    Es war ihm nicht entgangen, dass er mit der Übernahme des Kommandos auf der Aldebaran für alle Beteiligten falsche Hoffnungen geweckt hatte. Für den internationalen Handel. Für einen guten Teil der Besatzung. Dass Takis ein Schurke war, ging ihn nichts an. Jedenfalls in dieser Sache. Er hätte diese Vereinbarung mit jedem respektiert. Mit ruhigem Gewissen. Das war Vorschrift. Wenn er dagegen verstieß, und sei es nur einmal, davon war er damals überzeugt, würde sein Leben Schiffbruch erleiden. Das hatte er sich gesagt. Aber das Gegenteil war eingetreten.
    Er hatte seine Entscheidung getroffen, ohne Céphée ein Wort davon zu sagen, und sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Seine Abreise. Weil es ihm wieder einmal an Mut gefehlt hatte. Takis gegenüber. Ihr gegenüber auch. Vor allem. Wenn er eine Antwort auf ihre Frage gehabt hätte, wenn er die Kraft gehabt hätte, das Leben, das er ihr aufzwang, neu infrage zu stellen, vielleicht wäre es ihm dann möglich gewesen, Takis’ niederträchtige Forderung in den Wind zu schlagen. Genau in dem Moment hatte Céphée beschlossen, ihn zu verlassen.
    Diamantis heute um Rat zu fragen – wenn das noch möglich war –, ihn um Hilfe zu bitten, lief darauf hinaus, sich selbst zu entblößen. Keinen Kompromiss mehr zu schließen. Nicht mehr mit den Werten des Lebens zu jonglieren, wie er es zu jeder Zeit gemacht hatte. All die Dinge, die über seine Kräfte zu gehen schienen. Denn das war der Kern des Problems. Er hatte jetzt ein geschärftes Bewusstsein dafür. Das Leben der Menschen ließ sich nicht verhandeln. Freundschaft ließ sich nicht verhandeln. Auch die Liebe nicht.
    »Céphée«, dachte er.
    Sie war immer auf seiner Seite gewesen. Er nicht. Er liebte es, von ihr geliebt zu werden. Aber er, liebte er Céphée um ihrer selbst willen? Er war nicht immer auf ihrer Seite gewesen. Auf Seiten ihrer Liebe. Dieses Mädchen an seiner Seite, Stella, war der bittere Beweis.
     
    »Du denkst an sie, stimmts?«, fragte Stella und drückte ihre Zigarette aus.
    »Mhm.«
    Er betrachtete Stella wie einen Gegenstand. Einen schönen Gegenstand. Stella war eine hübsche Nutte. Ihr feuchter Körper glänzte. Sie war noch nicht verbraucht durch

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