Aldebaran
zu ihnen hinüber, als hätten sie den Spaß gern geteilt.
»Das ist wahr«, wiederholte Nedim.
Lalla neigte sich zu Nedim und küsste ihn auf die Stirn. »Ich hab dich furchtbar gern. Du bist wirklich einmalig.«
»Störe ich?«, fragte Diamantis.
»Oh! Da bist du ja«, stieß Nedim aus, noch ganz mit seiner Geschichte beschäftigt und keineswegs von Diamantis’ Erscheinen überrascht. »Sag du ihr, dass es wahr ist, das mit den Piraten.«
Nedim bemerkte das – inzwischen senfgelbe – Mal nicht, das unter Diamantis’ Auge prangte. Dabei war es selbst unter Mariettes großer Sonnenbrille kaum zu übersehen.
Nedim wandte sich an Lalla. »Das ist Diamantis. Er wird es dir bestätigen.«
Diamantis reichte der immer noch lachenden Lalla seine Hand. »Guten Tag.«
»Ich bin Lalla«, sagte sie. »Wir sind uns gestern flüchtig begegnet, im Habana. « Sie erwähnte sein Veilchen nicht. Aus Höflichkeit. Diamantis setzte sich ihnen gegenüber.
»Du kommst zu spät, Alter. Gaby konnte nicht bleiben. Oh, zum Teufel! Was hast du da unter dem Auge?«
»Ich bin gestolpert«, scherzte er.
»Red keinen Quatsch!« Nedim drehte sich verschwörerisch zu Lalla: »Bestimmt eine Frauengeschichte.« Dann sah er Diamantis wieder an.
»Erzähl. Du warst mit der Frau im Bett, der Ehemann ist früher gekommen als erwartet. Er war groß, stark und hat dir das Veilchen verpasst!«
»Genau so. Nur ohne die Frau und den Ehemann. Nur die Tracht Prügel auf der Straße auf dem Heimweg letzte Nacht.«
Nedim pfiff durch die Zähne. Aber ihm entging nichts bei dieser Art von Geschichten. »Und wo hast du danach geschlafen?«
Diamantis grinste. »Na, bei der Apothekerin.«
Nedim lachte und zwinkerte ihm dann zu. »Klar, die Apothekerin, was …«
»Und was ist mit Amina?«, unterbrach Diamantis.
»Amina?«, fragte Nedim.
»Gaby«, erklärte Lalla. »Gaby ist ihr Arbeitsname. Das habe ich dir doch schon erklärt, im Habana. «
»Ach ja … Amina gefällt mir besser«, betonte Nedim. »Das passt besser zu ihr, finde ich. Und es ist hübscher. Gaby …«
»Amina musste wieder fort«, klärte Lalla Diamantis auf. »Ich werde es Ihnen erklären … Aber Sie trinken doch ein Gläschen?«
»Das geht auf Lalla«, unterstrich Nedim. »He, sieh an! Ich habe meinen Notgroschen noch nicht angerührt!«
»Gern«, nahm Diamantis an. »Und was dann?«
»Na, dann wird gefeiert!« Nedim legte seine Hand auf die von Lalla. »Wir trennen uns jedenfalls nicht, stimmts? Außerdem hab ich versprochen, ihr das Schiff zu zeigen. Stell dir vor, sie hat noch nie eins gesehen. Wir werden was einkaufen und an Bord essen. Gut einkaufen. Was meinst du?«
»Wir arbeiten heute nicht. Heute ist Ruhetag. Aber Amina, sie … Das war nicht geplant … Sie muss mit Ricardo essen. Aber …«
Sie sah Nedim an. »Wenn wir das Schiff besichtigen … Sie kommt dazu, sobald sie kann. Das hat sie versprochen.«
»Ja, sie fragt am Tor nach uns. Und du holst sie ab. Du bist doch einverstanden? Während wir warten, trinken wir in Ruhe unseren Aperitif. Wie die Paschas. Ist es nicht schön hier?« Nedim zeigte mit ausholender Geste aufs Meer.
Die Sonne ging vor ihnen über L’Estaque unter und erleuchtete mit ihren letzten Strahlen die Festung des Château d’If. Diamantis musste plötzlich an den Grafen von Monte Christo denken. Aminas Lieblingsroman. Sie hatte ihn mit auf die Insel genommen, um den Kerker zu besichtigen, in dem Dantès vierzehn Jahre seines Lebens verbracht hatte. Sie hatte ihm den Abschnitt vorgelesen, in dem Dantès verhaftet wurde, als er sich anschickte, die schöne Mercédès zu heiraten.
»Das ist der große Roman der Ungerechtigkeit«, hatte sie gesagt. »Hass und Verachtung, Neid und Feigheit.«
Wie hatte er das nur vergessen können? Sie hatte ihm den Roman geschenkt. Als Schiffslektüre. Er hatte ihn verschlungen und auch sehr gemocht. Er konnte sogar behaupten, dass er mit Alexandre Dumas gelernt hatte, Französisch zu lesen. Seite für Seite. All die Bilder des ersten Kapitels tauchten wieder vor seinen Augen auf. Die Einfahrt des Dreimasters Pharao in den Hafen von Marseille, aus Smyrna, Triest und Neapel kommend.
»Ich weiß nicht, was Abdul dazu sagen wird«, gab Diamantis zu bedenken.
»Ist das euer Kapitän?«
»Ja. Er ist verrückt, aber nicht bösartig«, nickte Nedim. »Er wird nichts dagegen haben, mit uns zu feiern, verdammt! Schließlich hat er es auch nicht leicht im Leben, oder? Glaubst du nicht?«
Diamantis brummte
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