Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
zurückzuliegen, und wie er da stand, fühlte er sich von allem ringsum vollkommen abgeschnitten. Das ist nicht real, sagte er zu sich selbst; wenn ich die Hand ausstrecke, um den Bettpfosten zu berühren, wird er nicht dasein, da wird nur Luft sein. Die Stimmen, die ich höre, sind bloß ein Teil desselben schrecklichen Traums, und bald werden sie aufhören, mich in Ruhe lassen, Adele wird aufstehen und an meine Seite kommen , und zusammen werden wir dieses Land verlassen und an irgendeinen Ort gehen, wo uns keiner kennt, wo keine Pest herrscht ...
Ein dringliches Zerren an seinem Ärmel riß ihn aus seiner Phantasie.
»Doktor ... Doktor ... Ihr müßt jetzt gehen. Meine Schwester wird mit Wachen zurückkommen, um Euch festzunehmen, und Ihr werdet gewiß verbrannt werden . Jude oder nicht, Ihr seid ein guter Mensch, und Adele liebte Euch sehr . ich habe Euch auch sehr lieb und möchte Euch nicht verlieren . Doktor, bitte .«
Er schaute nach unten und sah Kates bittendes Gesicht, das zu ihm aufblickte. »Ja, ich muß fort«, sagte er abwesend. »Ich werde jetzt gehen ...« Sie zerrte fester an seinem Ärmel. »Es ist keine Zeit zu verlieren«, sagte sie verzweifelt, »und Ihr müßt mich mit Euch nehmen .«
Er löste sich aus seiner Starre und faßte ihre schmalen Schultern. »Kind, Ihr verlangt das Unmögliche, ich weiß nicht, wie ich selbst leben werde, ganz zu schweigen davon, wie ich für ein Kind wie Euch sorgen könnte!«
»Bitte!« flehte sie jammernd. »Ich werde in diesem Königreich nie wieder willkommen sein! Ich werde allein weglaufen, wenn Ihr mich nicht mitnehmt!«
»Nein, Kind«, protestierte er, »Ihr dürft nicht »Das werde ich, ich schwöre es!«
Er schluckte schwer. Es würde schwierig genug sein, allein zu entkommen, aber er wußte, mit einem kleinen Mädchen wäre es nahezu unmöglich. »Kate, ich habe nur ein Pferd ...«
»Dann werde ich mit Euch reiten, ich bin eine gute Reiterin! O bitte, laßt mich nicht allein vor das Angesicht meines Vaters treten .«
Bitte, laßt mich nicht allein. Ihre Worte trafen ihn, und er nahm sie in die Arme. Sie sprang förmlich hinein. »Also gut«, sagte er sanft. »Ich werde Euch nicht im Stich lassen.«
Die Nurse band Kate die Kapuze des Reitum- hangs fest unter dem Kinn zusammen. »Ich werde eine Bahre kommen lassen, um Lady Adeles sterbliche Überreste fortzutragen«, sagte sie, »und so Gott will, wird das eine Ablenkung sein, während Ihr flieht. Aber nun müßt Ihr laufen und dürft Euch nicht umschauen. Ihr habt wenig Zeit.«
Alejandro schaute Kate an und sagte: »Seid Ihr bereit, Kind?« Das kleine Mädchen nickte düster.
Wie tapfer dieses Kind sich ins Unbekannte stürzt , und das in so zartem Alter , dachte die Nurse. Sie umarmte das kleine Mädchen ein letztes Mal, küßte es auf die Wange und zog sich dann mit einem Schluchzen zurück. »Geht jetzt«, sagte sie, »und möge Gott Euch beide beschützen.«
Sie schaute aus dem Fenster, um sich von ihrem Erfolg zu überzeugen; nach wenigen Minuten sah sie zwei geduckte Gestalten aus den Schatten schlüpfen. Der Mann zog das Kind an der Hand hinter sich her, als sie über den Hof zu seinem wartenden Pferd rannten. Sie sah, wie der Arzt in die Tasche schaute, die im Sattel hing, und hielt die Luft an, als er sein Pferd bestieg und das Kind vor sich in den Sattel hob. Sie atmete erst wieder, als die beiden außer Sicht und in Sicherheit waren, von der samtenen Nacht verschluckt.
Nachdem die beiden außer Gefahr waren, wandte die Nurse ihre Aufmerksamkeit dem zu, was von Adele übrig war. Sie säuberte das Bettzeug, so gut es ging, von den breiigen Überresten Alejandros vergeblicher Bemühungen, und als der Raum einigermaßen präsentabel war, zog sie einen Klingelzug. Ein Diener erschien nur wenige Augenblick später.
»Schickt sofort nach einer Tragbahre«, sagte sie schniefend und ihre Augen betupfend, »denn Lady Throxwood ist einem Frauenleiden erlegen, und wir müssen ihre Überreste entfernen, ehe Lady Isabella zurückkehrt und von diesem Anblick schockiert wird.«
Als Minuten später die Bahre gebracht wurde, gab sie sich in ihrem Kummer sehr geschäftig und zögerte das Herrichten des Leichnams hinaus. Gerade als die Träger die Bahre endlich aus dem Zimmer trugen, traf eine Gruppe von Soldaten ein, angeführt von einem streng blickenden Ritter, der sein gezogenes Schwert in der Hand trug. Mit gebieterischen Schritten polterte er in den Raum und verlangte zu wissen, wo der Mann
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