Alera 01 - Geliebter Feind
dass ich dir Kummer gemacht habe«, sagte ich und suchte den Blick seiner indigofarbenen Augen. »Aber können wir das nicht auf irgendeine Weise hinter uns lassen?«
»Ganz wie es der Prinzessin beliebt«, erwiderte er und ich war froh, das Necken aus seiner Stimme herauszuhören. Nachdem er Destari angesehen hatte, der inzwischen neben mir stand, fügte er ernsthafter hinzu: »Dieses Treffen hier ist ja sowieso nicht als nette Plauderei gedacht.«
Eine beängstigende Stille trat ein, in der London mit einem Finger die staubigen Kanten einer Holzkiste entlangfuhr. Schließlich brach er das Schweigen.
»Destari hat mir berichtet, dass du dich mit Koranis’ ältestem Sohn angefreundet hast.«
Ich hätte mir denken können, dass Destari London über mein Tun auf dem Laufenden hielt. Nachdem er sechzehn Jahre lang jeden meiner Schritte überwacht hatte, war es sicher schwer, alte Gewohnheiten abzulegen.Aber ich vermutete, dass London mehr Informationen über meine Besuche bei Narian zusammengetragen hatte, als selbst meinem Leibwächter bekannt waren. Ich wollte darauf nichts Falsches erwidern und zuckte nur unverbindlich mit den Schultern.
»Und was hast du für einen Eindruck von ihm?«, hakte London nach, ohne zu verraten, worauf er eigentlich hinauswollte.
Ich wusste, dass es sinnlos gewesen wäre, zu versuchen, ihn zu täuschen. »Er fasziniert mich, und ich genieße seine Gesellschaft.«
»Du solltest vor ihm auf der Hut sein«, erwiderte London in ernstem Ton.
»Warum?«, erwiderte ich aufgebracht. »Weil er in Cokyri erzogen wurde?«
»Nein. Weil er nicht der ist, der er zu sein scheint.«
»Dasselbe könnte ich über dich auch sagen.«
London hob warnend eine Augenbraue.
Ich bereute meine Worte augenblicklich und schwieg.
Nach einer Weile fragte er mich: »Hat er dir noch keinen Grund geliefert, ihm zu misstrauen?«
Aus einem mir unbekannten und durch nichts zu rechtfertigenden Grund störte mich die Art und Weise, wie er über Narian sprach.
»Ich gebe zu, dass ich nicht so viel über ihn weiß, wie ich das gern täte, aber auf der Basis dessen, was ich weiß, habe ich keinen Grund zur Sorge.«
London schüttelte den Kopf und schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. »Du siehst und bist manchmal dennoch blind.«
Er fuhr sich mit der Hand durch sein strubbeliges silberfarbenes Haar, bevor er in besorgtem Ton fortfuhr.
»Am Ende des Krieges haben uns die Cokyrier neunundvierzig kleine Jungen gestohlen und achtundvierzigdavon getötet, nur Narian haben sie behalten und aufgezogen. Hast du dich noch nicht gefragt, warum? Wie viele Kinder kennst du, deren militärische Ausbildung im Alter von sechs Jahren begonnen hat? Und wie viele davon hatten einen eigenen Lehrer?«
London starrte mich durchdringend an, aber ich wusste, dass er keine Antwort von mir erwartete.
»Diesem Jungen ist es irgendwie gelungen, Halias und Tadark geräuschlos zu umgehen, sich so verstohlen zu bewegen, dass es der Aufmerksamkeit von zwei Elitegardisten – na gut, sagen wir eineinhalb – entging.« Trotz des gewichtigen Themas konnte er sich den Seitenhieb auf Tadark nicht verkneifen. »Wie vielen Sechzehnjährigen würde das wohl gelingen?«
Er stieß sich von den Kisten ab und wirkte aufgebracht. Seine Worte und sein Atem hingen in der kalten Luft.
»Es gelingt ihm, sich Waffen anzueignen, obwohl wir alles tun, um ihn zu entwaffnen. – Vielleicht weißt du das bereits, aber das Messer, mit dem Narian dein Kleid abgeschnitten hat, hatte er zuvor Koranis persönlich abgenommen. Das war offenbar, bevor er bemerkt hatte, wie leicht er die verschlossene Waffentruhe im Schlafzimmer des Barons zu öffnen vermochte.«
London ließ diese Informationen in mein widerstrebendes Bewusstsein sinken, dann sprach er weiter. »Du hast bei der Vorführung seines Waffenarsenals zugesehen – er ist völlig grundlos bewaffnet, und das nicht nur mit den üblichen Waffen eines Soldaten, sondern mit denen eines Attentäters. Wie du bei dem Fest zu seinen Ehren bemerkt haben dürftest und ich am Tag seiner Festnahme, fürchtet er keine Verletzung und scheut keinerlei Gefahr.«
Er warf einen Blick zu Destari, als wollte er sichdessen Zustimmung versichern. »Nach einem Jahrhundert Krieg mit den Cokyriern wissen wir, womit wir rechnen müssen. Damit definitiv nicht.«
Es herrschte düsteres Schweigen. Ich vermutete, dass Destari das meiste schon gewusst hatte, aber wenn man alles noch einmal geballt hörte, wirkte es doch ziemlich
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