Alera 01 - Geliebter Feind
halte Euch für einen Mann mit Verstand und erwarte daher genügend Einsicht von Euch, um meinem Vorschlag zu folgen. Bitte, Sire, tut, was ich sage.«
An seinen Hauptmann richtete London nur einen schroffen Befehl. »Folgt mir. Wir müssen den Palast sichern.«
Cannan runzelte die Stirn über Londons offensichtliche, wenn auch nicht untypische Missachtung der Befehlshierarchie, doch etwas am Ton der Stimme des Elitesoldaten ließ ihn schweigen. Stattdessen sah er sich nachKade um, dem für die Sicherheit zuständigen Offizier der Palastwache. Der war in jeglicher Hinsicht eine bescheidenere Ausgabe von Cannan: etwas jünger, etwas kleiner, etwas weniger ehrfurchtgebietend und etwas weniger streng. Kade steuerte bereits auf uns zu, nachdem er gesehen hatte, wie London zum König geeilt war. Cannan gab ihm die nötigen Anweisungen und entfernte sich mit seinem Stellvertreter.
Sobald die beiden Männer gegangen waren, wechselten Kade und der König ein paar Worte. Anschließend legte mein Vater eine Hand um die Taille meiner Mutter und führte sie zu meiner Schwester, die mit Semari, Steldor und Galen beisammenstand. Nachdem er leise mit Miranna gesprochen hatte, winkte er Kade, der meine Familie zusammen mit der persönlichen Leibwache meines Vaters auf das Podest und von dort durch die Tür ins Honoratiorenzimmer geleitete. Bevor ich den Saal verließ, warf ich noch einen Blick auf Steldor, der soeben zusammen mit Galen in der Richtung verschwand, die auch der Hauptmann und London genommen hatten. Offenbar wollten sie einen möglichen militärischen Einsatz nicht versäumen.
3. ENTTARNTE FEINDE
Rastlos lief ich in meinem Salon auf und ab. Aus Sicherheitsgründen hatte man mich in meine Gemächer geleitet und eine Wache bei mir im Zimmer sowie zwei weitere auf dem Flur postiert. Der Mann, der vorübergehend Londons Funktion übernommen hatte, stand neben dem Kamin und versuchte, sich seine Befangenheit nicht anmerken zu lassen. Er trug die Uniform der Palastwache: schwarze Reithosen und dazu eine knielange königsblaue Tunika mit goldener Passe. Das Schwert, das die Wachen am Ende ihrer Ausbildung verliehen bekommen, hing an seinem Gürtel. Er war höchstens ein paar Jahre älter als Steldor und hatte offenbar nicht damit gerechnet, eines Tages zum persönlichen Schutz der Kronprinzessin abgestellt zu werden.
»Weißt du, was da jetzt los ist?«, fragte ich ihn unvermittelt. Der junge Mann entspannte sich sichtlich, nachdem ich das Schweigen gebrochen hatte.
»Ich fürchte, Eure Hoheit wissen mehr darüber als ich.« Er zuckte entschuldigend mit den Achseln, aber ich sah die Neugier in seinem Blick. »Entschuldigt meine Frage, Prinzessin Alera, aber was genau ist denn im Garten vorgefallen?«
Ich hörte mit dem Herumlaufen auf und erzählte ihm alles, was ich wusste, auch wie London den Eindringling genannt hatte.
»Cokyrier?«, wiederholte er wie betäubt. »Was wollen die hier?«
»Nun ja, genau genommen war es ja nur eine.«
»Die Cokyrier tauchen nie einzeln auf, Prinzessin.«
»Und was hat das dann zu bedeuten?«, brummte ich ungehalten in Anbetracht seiner wirren Worte.
Es folgte eine dramatische Pause, und ich hätte ihn für sein theatralisches Gebaren ausgelacht, wenn seine Worte nicht so ernst gewesen wären.
»Es bedeutet, dass wieder Krieg ausbrechen könnte.«
Ich fühlte mich, als würde sämtliche Luft aus meinen Lungen gepresst, und verstand sogleich Londons Reaktion. Ich wusste genug vom Schrecken des Krieges und hatte kein Verlangen, diesen am eigenen Leib zu erfahren, schon gar nicht unter der Regentschaft meines künftigen Gatten.
»Seit sechzehn Jahren haben wir von den Cokyriern nichts gehört oder gesehen«, fuhr er fort. »Die Kampfhandlungen endeten ohne einen Sieg oder ein Abkommen, was bedeutet, dass der Konflikt so plötzlich wieder beginnen kann, wie er geendet hat.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte ich und war leicht irritiert, dass dieser junge Wachmann die Bedeutung eines Eindringlings so viel rascher erfasst hatte als ich.
»In meiner Ausbildung bei der Palastwache«, antwortete er mit stolzgeschwellter Brust, »habe ich bei einigen der größten Männer unserer Armee gelernt, die meisten davon waren Kriegsveteranen.«
Ich nickte und nahm mein Herumwandern wieder auf. Dabei ballte ich die Fäuste und bohrte mir die Fingernägel in die Handflächen. Als es an der Tür klopfte, zuckte ich zusammen, doch es war nur ein Diener, der das Feuer im Kamin anzünden
Weitere Kostenlose Bücher