Alera 01 - Geliebter Feind
verbrochen hatten. Da ließ ich meinen Zorn an ihm aus.
»Weißt du, was deine Landsleute letzte Nacht getan haben?«, legte ich los. »Unsere Leute wurden massakriert – Männer, Frauen und unschuldige Kinder! Und das nur, weil wir deine Entführung verhindert haben!«
Narians Miene verfinsterte sich, und er rutschte an den Rand des Bettes. Dabei fiel ein Buch zu Boden.
»Das sind nicht meine Landsleute«, korrigierte er mich mit bitterer Stimme. »Und sowohl London als auch ich haben den Hauptmann vor einer solchen Vergeltung gewarnt.« Er ließ seine Worte kurz im Raum stehen und fügte schließlich noch hinzu: »Es ist Krieg, Alera, und der ist niemals gerecht oder mitleidig.«
Eine weitere Pause trat ein, und er sah mir direkt in die Augen, bis ich den Blick abwenden musste.
»Wenn du wünschst, dass ich Hytanica verlasse, musst du es mir nur sagen, dann werde ich das tun«, sagte er mit entschlossener Stimme.
Ich sah ihn lange an und kämpfte mit meinen widerstreitenden Gefühlen, bis mein Zorn verflog und ich mich schwach und zittrig fühlte.
»Es tut mir leid«, murmelte ich. »Ich möchte nicht, dass du uns verlässt.«
Er sah mir ins Gesicht, als wolle er sich davon überzeugen, dass ich die Wahrheit sprach. Dann sagte er: »Setzt euch doch bitte.«
Miranna und ich zogen uns jede einen Sessel heran, und er nahm wieder im Schneidersitz auf seinem Bett Platz. Doch unsere Unterhaltung verlief schleppend und die Stimmung blieb düster.
»Vielleicht sollten wir jetzt besser gehen«, sagte ich nach einem besonders langen und bedrückenden Schweigen.
»Ab morgen bin ich wieder auf und kann mich im Palast bewegen«, meinte Narian, den Blick auf michgerichtet. »Vielleicht begegnen wir uns dann unter günstigeren Umständen.«
»Vielleicht«, erwiderte ich mürrisch und verließ mit meiner Schwester und gefolgt von Halias das Zimmer.
»Du kannst Narian nicht dafür verantwortlich machen, was die Cokyrier letzte Nacht angerichtet haben«, ermahnte Miranna mich. »Obwohl ich immer noch nicht verstehe, warum sie so großen Wert auf seine Rückkehr legen«, fügte sie stirnrunzelnd hinzu.
Sie blieb stehen, sah Halias an und spielte mit einer Hand mit ihren rotblonden Locken.
»Weißt du vielleicht, warum die Cokyrier so versessen darauf sind, sich Narian zurückzuholen?«
»Nein.« Halias zuckte mit den Schultern und klang dabei vollkommen ehrlich.
»Das soll auch nicht unsere Sorge sein«, meinte ich und versuchte, die Neugier meiner Schwester zu dämpfen.
Ich sah, wie Halias skeptisch die Augenbrauen hob, und wusste, dass er dachte, wie wenig es doch zu mir passte, eine solche Frage auf sich beruhen zu lassen. Entschlossen fasste ich Miranna an der Hand und begleitete sie zu ihren Gemächern. Als wir bei der Tür zu ihrem Salon angelangt waren, zog sie mich überraschend mit hinein und ließ Halias auf dem Flur zurück.
»Was geht da zwischen dir und Narian vor?«, fragte sie ohne Umschweife.
»Was meinst du damit?«, wehrte ich ab, obwohl die aufsteigende Röte meiner Wangen mich unmissverständlich verriet.
»Komm schon, Schwesterchen«, tadelte Miranna und zog mich neben sich auf ihr dunkelblaues Samtsofa. »Ich kenne dich zu gut, um die Anzeichen nicht zu sehen.« Dann wurde sie ernster. »Du warst viel zu nervös, als erverschwunden war, viel zu begierig, ihn nach seiner Rückkehr zu sehen, und dein Gefühlsausbruch vorhin war etwas zu heftig. Also gesteh schon.«
Meine Gedanken rasten – ich wusste zwar, dass ich ihr vertrauen konnte, wollte ihr aber dennoch nichts von den Geheimnissen verraten, die ich mit Narian teilte. Mir kam es vor, als würde die heimlich mit ihm verbrachte Zeit beeinträchtigt, wenn jemand anderer von unseren Treffen wüsste.
»Ich schätze seine Gesellschaft.«
»Habt ihr euch geküsst?«, fragte sie unverblümt.
Ich wusste, dass auch diesmal meine verlegene Röte mich verriet.
»Ja-ha-a.« Ich zog das Wort in die Länge, als würde sie das von weiteren Nachfragen abhalten.
»Mehr als einmal?«
»Ja«, sagte ich und war leicht irritiert von ihrer Beharrlichkeit. Sie wartete und sah mich mit einem vielsagenden Lächeln an. »Er ist sehr liebevoll und aufmerksam und behandelt mich ganz anders, als Steldor oder irgendein anderer junger Mann das je getan hat.«
»In welcher Hinsicht anders?«
»Mit mehr Respekt. Er hört mir wirklich zu und schenkt mir seine volle, ungeteilte Aufmerksamkeit. Außerdem schätzt er mein Wissen und sucht meinen Rat.«
»Na, das
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