Alera 01 - Geliebter Feind
klingt tatsächlich ganz anders als Steldor«, gab sie lachend zu. »Dann wirst du mit Vater reden? Denn schließlich hat er nur Steldor die Erlaubnis erteilt, dir den Hof zu machen. Er wäre bestimmt sehr ungehalten, wenn er erführe, dass dies insgeheim noch ein weiterer junger Mann tut.«
»Das würde ich ja gern, aber erst gestern hat mir Vater seine Meinung über Narian kundgetan.«
Als sie mich fragend ansah, fuhr ich fort.
»Vater kam in meine Gemächer, weil ich ihn zu Narian begleiten sollte. Er sagte, er habe Zeichen der Zuneigung zwischen mir und ihm bemerkt, nähme aber an, dass es sich um Zeichen von Freundschaft handele. Er sagte, er würde in Narian keinen angemessenen Verehrer sehen.« Ich seufzte tief, bevor ich weitersprach. »Ich muss ja selbst zugeben, dass Narian keines von Vaters Kriterien erfüllt. Er ist zu jung, besitzt nichts außer dem Hemd, das er am Leib trägt, und hat eine fragwürdige militärische Ausbildung.«
Miranna spielte wieder mit einer ihrer Haarsträhnen und schien über eine Antwort nachzudenken.
»Ich weiß, dass du das bestimmt nicht hören willst, aber wenn Vater es so sieht, solltest du deinen Kontakt zu Narian vielleicht wirklich einschränken. Sonst läufst du nur Gefahr, dir selbst das Herz schwer zu machen.« Sie sprach sehr sanft, aber ungewöhnlich ernst mit mir.
»Da hast du natürlich recht. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelingen wird, Abstand zu ihm zu halten.«
»Dann hör zumindest schon einmal auf, ihn zu küssen!«, riet sie mir leichthin. »Versuch, euer Verhältnis rein freundschaftlich zu halten. Das sollte doch gar nicht so schwer sein, weil du wohl ohnehin nicht viele Gelegenheiten haben dürftest, mit ihm allein zu sein.«
Ich musste über diesen Irrtum lächeln und wechselte rasch das Thema, bevor sie womöglich darauf kam, mich zu fragen, wo und wann genau ich Narian geküsst hätte.
»Jetzt erzähl du mir von der Romanze, die sich zwischen dir und Temerson anbahnt.«
Nun war es an meiner Schwester zu erröten, und wir verbrachten die nächste halbe Stunde in angeregtem Geplauder über den jungen Mann in ihrem Leben.
Bald danach verließ ich Mirannas Gemächer und nahm mir vor, die Zeit ohne Leibwächter zu genießen. Beispielsweise mit einem kurzen Spaziergang an der frischen Luft. Doch noch während ich bei Miranna saß, hatte es wieder zu regnen begonnen. Ich hatte keine Lust, in meine Gemächer zurückzukehren, und entschloss mich stattdessen zu einem Besuch der Bibliothek. Dort spazierte ich ziellos zwischen den Regalen herum, würdigte die Bücher aber kaum eines Blickes, weil die Ereignisse des Tages mir nicht aus dem Kopf gehen wollten. Als ich gedämpfte Stimmen hörte, lauschte ich und wandte mich dann in Richtung der Sitzecke. Im Näherkommen erkannte ich Londons ernste Stimme und blieb stehen.
»Im Moment will Narian in Hytanica bleiben, aber wir müssen auf die Möglichkeit vorbereitet sein, dass er nach Cokyri zurückkehrt, sobald er eingesehen hat, dass er nicht mit Alera zusammen sein kann.«
»Daraus schließe ich, dass du ihm nicht traust.« Das war Destari.
»Nein, das tue ich nicht. Ich glaube, dass er nur wegen ihr noch hier ist, denn ansonsten verbindet ihn nichts mit Hytanica. Seiner Familie ist er entfremdet, und Cannans Angebot, in die Militärakademie einzutreten, hat er auch abgelehnt.«
»Und was sollen wir tun, wenn er versucht zu verschwinden?«
»Wenn er versucht, sich nach Cokyri abzusetzen …« London verstummte. Um besser zu hören, wagte ich es, noch näher heranzuschleichen und die beiden Gardisten durch eine Bücherregal hindurch zu beobachten. Ein drohendes Schweigen hing im Raum, bis London fortfuhr. »Wir müssen zu drastischen Maßnahmen bereit sein. Selbst zur drastischsten. Wir müssen bereit sein,wenn nötig sein Leben auszulöschen, um seine Rückkehr nach Cokyri zu verhindern. Wärst du dazu bereit, selbst in dem Wissen, dass man uns dann als Mörder anklagen könnte? Selbst wenn wir dafür gehängt werden könnten?«
»Es ist meine Pflicht, Hytanica zu schützen, und diese Pflicht werde ich erfüllen, selbst wenn das bedeutet, dass ich damit mein Leben verwirke«, erklärte Destari ohne Zögern.
»Gut. Dann lass uns darum beten, dass es nicht so weit kommt.«
Die beiden Männer umarmten sich kurz, bevor jeder seiner Wege ging. Ich sank mit weichen Knien gegen ein Bücherregal, entsetzt von dem, was ich gerade mit angehört hatte. Mir war klar, dass Destari mich sogleich in
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