Alera 01 - Geliebter Feind
Geduld am Ende, was Londons offensichtliche Missachtung von Befehlshierarchien und die Neigung, seinem Vorgesetzten Befehle zu erteilen, anging.
»Dann widme ich mich doch lieber gleich meiner Lektüre, bis Ihr mich das nächste Mal braucht, um eine Krise zu bewältigen. Aber wenn es so weit ist, könnte es durchaus sein, dass ich nicht dazu bereit sein …«
London beendete den Satz nicht, da er meinen Vater herbeieilen sah. Er warf seinem Hauptmann einenletzten verächtlichen Blick zu, drehte sich um und stapfte durchs Haupttor in den Innenhof hinaus.
Mein Vater und Cannan sprachen kurz miteinander, waren aber zu weit weg, als dass ich ihre Unterhaltung verstanden hätte. Als der Hauptmann zu mir herübersah, trat ich unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und wusste nicht, ob ich überhaupt weiter warten sollte. Mir blieb jedoch wenig Zeit zum Überlegen, da mein Vater sogleich zu mir zurückkam.
»Vergib mir, Liebes, aber wir müssen unseren gemeinsamen Tee leider verschieben. Dringende Amtsgeschäfte, fürchte ich.«
»Mach dir keine Gedanken deswegen«, versicherte ich ihm und bemerkte, dass Cannan in der Eingangshalle stehen geblieben war und offensichtlich auf den König wartete.
»Möchtest du, dass ich dir eine Eskorte rufe?«
»Ich danke Euch, Vater, aber das wird nicht nötig sein. Ich kehre einfach in meine Gemächer zurück.«
Ich schenkte meinem Vater noch ein Lächeln und hakte mich, bis wir an die Prunktreppe kamen, bei ihm unter. Als ich ihn losließ und an Cannan vorüberging, machte dessen besorgte Miene mir ebenfalls das Herz schwer, denn ich musste an Londons düstere Prophezeiung denken.
Früh am nächsten Morgen trank ich gerade an einem Tisch vor dem Erkerfenster im Teesalon des ersten Stockwerks meinen Tee, um mir die Zeit zu vertreiben, während der draußen auf das dürre Laub niedergehende Nieselregen meine Möglichkeiten für den Tag reichlich einschränkte. Ich hatte geplant, am Nachmittag Narian zu besuchen, und Miranna eingeladen, mich zu begleiten. Zum einen, weil ich ihre Gesellschaft genoss, zumanderen als meine Anstandsdame. Für diese Aufgabe hätte zwar auch Destari genügt, aber ich hatte vor, ihn auf dem Flur zu lassen, weil ich wusste, dass Narian in seiner Gegenwart nicht frei sprechen würde.
Ich erinnerte mich an den Streit zwischen Cannan und London und überlegte gerade, ob ich Destari, der neben dem Kamin stand, auf den Vorfall ansprechen sollte, als London hereinstürmte.
»Heute Morgen ist noch kein Mensch in die Stadt gekommen, keine Patrouille hat Cannan Bericht erstattet, kein Landbewohner hat Schutz gesucht – keine einzige Seele.« Er klang gequält, während er mit seinem Freund sprach. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Nacht überlebt hat.«
Destari deutete mit dem Kopf in meine Richtung, um ihn stumm zu fragen, ob sie vor mir darüber reden sollten. Doch London nickte nur und schien zu besorgt, um sich darüber Gedanken zu machen.
»Weißt du, wie viele gestern in die Stadt gekommen sind?«, fragte Destari.
»Zweitausend vielleicht, aber man hat Hunderte ihrem Schicksal überlassen. Ich habe vor, hinauszureiten und mir selbst ein Bild von der Lage zu machen.« Ein grimmiger Unterton klang aus Londons Stimme.
»Ich reite mit dir«, sagte Destari ohne Zögern.
»Nein. Ich denke, es wird gefährlich, und es gibt keinen Grund, unser beider Leben aufs Spiel zu setzen.«
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber ich blieb stumm.
»Ich werde dich aufsuchen, sobald ich zurück bin.«
Als London ging, packte mich die Angst, und ich flüchtete mich in mein Schlafzimmer. Alle zehn bis fünfzehn Minuten wagte ich mich in die feuchte Kälte auf dem Balkon hinaus, um nach Bewegungen auf deranderen Seite der Stadtmauer Ausschau zu halten, aber die Landschaft war seltsam unbewegt. Aus den Häusern in der Ferne stieg nicht einmal Rauch auf.
Als ich etwa ein Dutzend Mal hinausgetreten war, erspähte ich endlich einen Reiter, der im Galopp näher kam. Ich stürmte aus meinen Gemächern und überraschte Destari.
»London ist zurück!«
Er packte mich am Arm, als ich gerade auf den Absatz der Prunktreppe laufen wollte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das Eure Angelegenheit ist«, sagte er barsch, woraufhin ich ihn gekränkt musterte.
»Ich habe wie jeder Hytanier ein Recht darauf, zu erfahren, was passiert ist. Hier geht es nicht nur um das Leben von Soldaten.«
Dem konnte er nicht widersprechen und ließ resigniert von mir ab. Gemeinsam liefen
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