Alera 01 - Geliebter Feind
gesprochen, falls wir Narians Rückkehr nach Cokyri verhindern müssen. Wenn ich mich in ihm täuschen sollte, gibt es weder für dich noch für ihn etwas zu befürchten.«
Meine Panik legte sich nach diesen Worten, doch ich fühlte mich weiterhin von ihm verletzt. Wir saßen schweigend da, während mein Zorn nachließ, doch dann machte er seine Position unmissverständlich klar.
»Du musst das verstehen, Alera. Ich bin ein hytanischer Soldat und Angehöriger der königlichen Elitegarde. Ich habe einen Eid geschworen, den König und die Bewohner seines Reiches zu schützen. Und ich werde alles tun, was nötig ist, um dafür zu sorgen.«
Ich starrte ihn an, und es kam mir vor, als kennte ich ihn nicht wieder.
»Wir haben nichts weiter zu bereden«, sagte ich kühl und entließ ihn.
London schüttelte enttäuscht den Kopf, erhob sich und verließ das Zimmer.
Als sich die Nachricht vom brutalen Angriff der Cokyrier verbreitete, hatten die Festlichkeiten sofort ein Ende. Man bestattete die Opfer des Gemetzels in mehreren Massengräbern und in der völlig überfüllten Stadt breitete sich Panik aus. Die verschlimmerte sich noch, als im Laufe der folgenden Wochen klar wurde, dass die Cokyrier vorhatten, uns zu belagern und auszuhungern, bis wir uns ergeben würden. Niemand, nicht einmal hytanische Soldaten, konnten die Stadt verlassen und heil wieder zurückkehren. Zu der tristen und oft verregneten Aussicht von meinem Balkon gehörten nun cokyrische Soldaten, die unser Land durchstreiften. Des Nachts konnte ich in der Ferne die Feuer ihrer Feldlager sehen.
Um die Nahrungsmittelvorräte der Stadt so weit wie möglich zu strecken, ordnete der König ihre Inventur und Rationierung an. Cannan wiederum beriet sich häufig mit seinen Truppenkommandanten und sann vermutlich über eine Strategie nach, um das Gebiet zwischen der Stadt und dem Fluss zurückzuerobern. Wenn der Frühling anbrach, würden wir dringend neue Lebensmittel brauchen – vorausgesetzt, wir hielten überhaupt so lange durch.
Die Sicherheitsmaßnahmen im Palast waren natürlich verschärft worden. Außerdem hatte man alle gesellschaftlichen Aktivitäten wie den Weihnachtsball meiner Mutter für die adelige Jugend abgesagt.
In dieser nervenaufreibenden Zeit nahm Narian seine nächtlichen Besuche wieder auf. Er trickste die Wachen aus, indem er aus seinem Fenster und über das Dach bis auf meinen Balkon kletterte. Anfangs blieb er immer nur kurz, sodass wir uns zumindest ein wenig unter vier Augen unterhalten konnten. Im Laufe der Wochen wurden seine Besuche jedoch immer länger, und wir pflegten uns vor den Kamin in meinem Salon zu setzen. Gemeinsam blickten wir in die tanzenden Flammen, während der kalte Januarregen gegen die Fenster trommelte.
Eine beharrliche Stimme in meinem Kopf ermahnte mich zwar, diese geheimen Zusammenkünfte zu beenden, aber ich brachte es einfach nicht über mich, weil ich Narians Gesellschaft mehr genoss als alles andere. Außerdem schaffte ich es auch nicht, meine Gefühle und seine körperliche Anziehung zu leugnen. Jedes Mal, wenn ich in seine unglaublich blauen Augen schaute, war es um meine Entschlossenheit geschehen. Also beschloss ich, nur für den Moment zu leben, und weigerte mich, anzuerkennen, wie die Zeit verging und mein achtzehnter Geburtstag unerbittlich näher rückte.
An einem herrlichen sternklaren Abend gegen Ende des Monats half Narian mir wie schon einmal, aus dem Palast zu gelangen. Wieder hatte er ein Pferd für uns bereitgestellt, und wir ritten einige Zeit auf dem Übungsgelände der Kaserne. Dort machte Narian mich mit den verschiedenen Gangarten eines Pferdes – Schritt, Trab und Galopp – vertraut. Danach saßen wir friedlich auf dem Hügel, von dem aus es auf das Turnierfeld hinunterging, und betrachteten anstelle der brennenden Scheite im Kamin die hell erstrahlenden Sterne.
Mich aus dem Schloss hinauszuschmuggeln, war für ihn kein großes Problem gewesen, mich in meine Gemächer zurückzubringen, gestaltete sich schon schwieriger. Angesichts der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen konnten wir nicht mehr ungefragt am frühen Morgen durchs Haupttor spazieren. Narian hatte darüber natürlich nachgedacht und eine Art Geschirr gebastelt, mit dem er mir half, die Hofmauer und meinen Balkon zu erklimmen.
Nach der Rückkehr in mein Schlafzimmer wartete Narian noch, bis ich im Badezimmer die schwarzen Sachen ausgezogen hatte, die er mir wieder mitgebracht hatte. Ich händigte sie ihm aus, da ich
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