Alera 01 - Geliebter Feind
dir eine schulde«, sagte ich trotzig.
»Dann sollte ich dich vielleicht besser zu deinem Vater bringen«, erwiderte er und mein Widerstand fiel in sich zusammen.
»London, schimpf mit mir, so sehr du willst, aber bitte sag meinem Vater nichts.«
Spöttisch hob er eine Augenbraue, und ich fühlte mich gezwungen fortzufahren.
»Ich kann keine Entschuldigung vorbringen«, sagte ich reumütig. »Ich wollte einfach nur Zeit mit Narian allein verbringen, und … dann haben sich diese nächtlichen Zusammenkünfte einfach … ergeben.«
Schon als ich sie aussprach, wusste ich, dass meine Worte aberwitzig klangen.
»Ich verstehe dich nicht«, schimpfte London und schüttelte unwillig den Kopf. »Destari und ich haben dich gewarnt und dir eindringlich angeraten, dich von ihm fernzuhalten, doch du hast nicht auf uns gehört. Stattdessen verschenkst du dein Vertrauen an jemand, der es nicht verdient. Du kümmerst dich nicht um deine Herkunft, zeigst keinen Sinn für Anstand oder Tradition.Rücksichtslos setzt du dein Leben aufs Spiel, ohne einen Gedanken an jene zu verschwenden, die sich um dich sorgen. Kurz gesagt, du benimmst dich wie ein Kind, und das kann im Alter von siebzehn Jahren einfach nicht angehen.«
Londons Missbilligung traf mich tief. Ich hatte den Blick auf meine ineinander verkrampften Hände gerichtet und schaffte es nicht, ihn anzusehen. Er stieß sich von der Wand ab und trat direkt vor mich hin.
»Schau mich an, Alera.«
Als ich den Blick hob, um ihm ins Gesicht zu sehen, standen meine Augen voller Tränen und meine Wangen brannten vor Scham.
»Liebst du ihn?«, fragte er mit etwas mehr Mitgefühl in der Stimme.
»Ja«, antwortete ich, und die Tränen begannen zu strömen.
Er sank vor mir auf ein Knie und seine indigofarbenen Augen waren voller Sorge.
»Unser Herz können wir nicht kontrollieren, aber wir müssen unseren Verstand und unseren Körper im Griff haben. Du kannst ihn nicht heiraten, Alera. Deshalb ist es am besten, wenn du dich von ihm fernhältst, damit diese Gefühle langsam nachlassen.«
»Du verstehst nicht«, schluchzte ich und hatte das Gefühl, kaum noch Luft zu bekommen. »Ich muss einfach die Erlaubnis meines Vaters bekommen, Narian zu heiraten. Mein Glück hängt davon ab.«
»Erzähl deinem Vater nichts davon, denn dabei kann nichts Gutes herauskommen. Hör mir jetzt gut zu. Hytanica kann unter keinen Umständen einen König gebrauchen, dessen Loyalität infrage steht. Wir haben viel zu lange gekämpft und viel zu viele Opfer gebracht, um die Cokyrier davon abzuhalten, unser Land zu erobern.Jetzt können wir uns nicht hinterrücks durch einen solchen Herrscher bezwingen lassen.«
»Deine Meinung wird wohl kaum darüber entscheiden«, erwiderte ich und wischte mir die Tränen ab. Ich wollte mir einfach nicht eingestehen, dass er recht hatte.
London stand auf und fuhr sich mit der Hand durch sein störrisches Haar.
»Dann wird dein Vater alle Fakten erfahren müssen, um sich eine Meinung bilden zu können. Ich habe gesagt, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem dein Vater alles über die Legende und Narians Schicksal erfahren soll. Mir scheint, er ist jetzt gekommen.«
»Mein Vater wird ihn nicht nach seiner Vergangenheit beurteilen, sondern danach, was er jetzt darstellt und in Zukunft sein kann.«
Nur zu gern hätte ich meinen eigenen Worten geglaubt, aber ich brauchte nicht einmal Londons Widerspruch, um zu wissen, dass es niemand gab, der die cokyrische Bedrohung mehr fürchtete als mein Vater. Es fühlte sich an, als würde ich ertrinken, nur dass London mir diesmal kein Seil zuwarf, um mich zu retten.
»Niemand kann sich gänzlich von seiner Vergangenheit befreien«, war alles, was London dazu sagte.
»Dann werde ich vielleicht meinen Anspruch auf den Thron aufgeben, damit ich mit Narian zusammen sein kann«, wagte ich vorzubringen.
»Selbst dann würde dein Vater der Hochzeit nicht zustimmen.«
Ich starrte London an, und wieder traten mir Tränen in die Augen, weil ich tief in meinem Herzen wusste, dass er recht hatte. Traurig sah ich, wie er auf die Tür zuging, und hielt ihn mit einer Frage auf.
»Wie bist du dahintergekommen?«
Er runzelte kurz die Stirn und schien zu überlegen,ob ich eine Antwort darauf verdiente. Dann entschied er sich, ehrlich zu sein.
»Ich habe seit einiger Zeit bemerkt, dass du und er an denselben Tagen müde wart, außerdem konnte jeder Narr schon an den Blicken, die ihr einander zugeworfen habt, sehen, dass ihr mehr als nur
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