Alera 01 - Geliebter Feind
Freunde seid. Ich begann Narians Aktivitäten zu beobachten und habe letzte Woche sein außerordentliches Talent entdeckt, über Dächer zu klettern. Dann musste ich nur noch warten, bis er dir den nächsten Besuch abstattete.«
Als ich ihm zuhörte, konnte ich nicht anders, als wieder einmal seinen Scharfsinn und seine Fähigkeiten zu bewundern. Ich begriff, was ihn zu einem gefährlichen Gegner machte.
»Wäre sein Verhalten nicht so vollkommen inakzeptabel, wäre ich davon beeindruckt«, sagte er zum Schluss.
Ich nahm mich zusammen, bis London gegangen war, dann rollte ich mich auf dem Sofa ein und begann, verzweifelt zu schluchzen.
31. EIN UNERWARTETER VERBÜNDETER
In der darauffolgenden Woche sah ich Narian kein einziges Mal, da London und Destari es sich zur Aufgabe gemacht hatten, uns auf Abstand zu halten. Selbst nachts bewachten sie meine Tür. Doch unsere erzwungene Trennung machte mir nur umso drastischer klar, dass mein Leben in vielerlei Hinsicht von Narian abhing.
Ich hatte begonnen, mir Argumente zurechtzulegen, die für Narian sprachen: Er war zwar jung, aber viel reifer, als es seinem Alter entsprach; er war seiner Familie entfremdet, aber dennoch würde Koranis ihn gewiss mit einem anständigen Erbe ausstatten, wenn er die Kronprinzessin heiraten sollte; er hatte zwar nicht die hytanische Militärakademie besucht, doch seine umfassende militärische Ausbildung ließ sich nicht leugnen. Der einzige Punkt, in dem ich nichts vorzuweisen hatte, war wohl zugleich der einzige, auf den es ankäme: nämlich dass seine Loyalität zweigeteilt sein mochte. Und auch wenn mein Herz es nicht zugeben wollte, so sagte mir meine eigene Vernunft doch, dass Londons Einschätzung der Situation richtig war. Es wäre verrückt und vollkommen unnötig, irgendein Risiko einzugehen, wo doch der Sohn des Gardehauptmannes bereitstand, den Thron zu besteigen. Selbst London, der Steldor ungefähr ebenso wenig leiden konnte wie ich, hätte sicher lieber diesen an der Macht gesehen als Narian.
Gerade als mir schien, meine Lage könne gar nicht schlimmer sein, trat Steldor wieder in mein Leben. Und zwar ließ mein Vater mich in sein Studierzimmer rufen,um mir anzukündigen, dass unsere Familie am folgenden Tag mit Cannans Familie zu Abend äße, um Steldors einundzwanzigsten Geburtstag zu feiern. Ich war zwar dankbar, dass ich den Abend nicht allein mit Cannans Sohn verbringen musste, aber mir graute trotzdem vor der Veranstaltung. Seit er meinen vorweihnachtlichen Einkaufsbummel so rüde gestört hatte, waren wir uns nicht mehr begegnet. Schließlich nahm die Belagerung durch die Cokyrier alle Offiziere stark in Anspruch.
»Ein dem Anlass angemessenes kleines Geschenk wäre wohl angebracht«, sagte der König.
»Ja, Vater«, antwortete ich, ohne lange zu überlegen.
»Ich beabsichtige, dann auch gleich die Verlobungsformalitäten mit Cannan zu besprechen, da ich von keinem weiteren geeigneten Ehekandidaten weiß. Die Entscheidung duldet keinen Aufschub mehr, schließlich sind es nur noch drei Monate bis zu deinem Geburtstag.«
Mein ganzer Körper verspannte sich, und in meinen Schläfen pochte es. Mir war zwar vollkommen klar, dass Narian mein Glück und Steldor ein gebrochenes Herz für mich bedeuten würde, doch ich fühlte mich einfach nicht gerüstet, meinen Vater davon zu überzeugen. Noch dazu, weil meine Gefühle keinen Einfluss auf seine Entscheidung hätten.
»Temerson wird Mirannas Tischherr sein, und natürlich ist auch Galen geladen.«
»Ja, Vater«, wiederholte ich und knickste, um zu gehen, doch der König war noch nicht fertig.
»Ich wünsche dein Glück, wie auch deine Mutter das tut«, sagte er unsicher. »Du musst es aber auch wollen, und zwar im Rahmen der Möglichkeiten deines Ranges. Unsere Herzen sind nicht immer die besten Ratgeber, Alera, und bei manchen Entscheidungen ist auf sie schlicht kein Verlass.«
Ich nickte und fragte mich, ob er vielleicht meine Gedanken gelesen hatte. Doch ich verließ sein Studierzimmer ohne ein weiteres Wort, weil ich fürchtete, meine wahren Gefühle zu verraten.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um einen raschen Einkaufsgang ins Marktviertel zu unternehmen. Dabei freute mich, dass immerhin die Februarsonne den eisigen Januarregen abgelöst hatte. Ich hatte bereits beschlossen, welcher Art das »kleine« Geschenk für Steldor sein sollte. Da er mir den kostbaren Saphiranhänger geschenkt hatte, fühlte ich mich bemüßigt, seiner Großzügigkeit in
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