Alera 01 - Geliebter Feind
du kommen würdest, sobald ich dir Destari geschickt hätte.«
Mein Vater strich sich übers Kinn, als ich mich vor ihm aufbaute, und die Lachfältchen im Gesicht des neunundvierzigjährigen Mannes ließen ihn auf einmal gealtert und hager aussehen.
»Cannan und ich haben die Konsequenz aus dem gezogen, was du uns berichtet hast. Das mussten wir – uns blieb gar nichts anderes übrig.«
»Was wird mit ihm geschehen?« Ich schluckte und fühlte mich hundeelend.
»Er verbringt unter Arrest eine letzte Nacht in seinem Quartier. Morgen früh wird er vom Palastgelände verbannt.«
»Aber Vater, London ist doch kein Verräter. Er muss eine Erklärung dafür haben!«
»Falls er sie hat, dann ist er nicht bereit, sie uns zu geben. Ich kann ihm nicht gestatten, weiter als Wache und schon gar nicht als Elitegardist zum Schutz der königlichen Familie zu dienen, wenn seine Loyalität in Zweifel steht.«
»Seine Loyalität gehört Hytanica!«, rief ich aus, denn ich ertrug den Gedanken nicht, dass es anders sein könnte. »Er ist kein Verräter.«
»Jemand muss es aber sein!«, erwiderte mein Vater ebenso heftig und unterstrich seine Worte mit einer herrischen Gebärde. »Wäre es dir leichter, ein anderes Mitglied der Elitegarde anzuklagen, wo du doch die meisten von ihnen schon dein ganzes Leben lang kennst? Einer von ihnen hat den Verrat begangen. Warum soll es nicht London gewesen sein?« Als er meine gequälte Miene bemerkte, schlug er einen etwas sanfteren Ton an. »Ich weiß, dass du ihm nahestehst, aber ich kann das Risiko eines weiteren Verrats nicht eingehen.«
»Ich weiß, dass es einen guten Grund für sein Verhalten geben muss«, beharrte ich. »Er hat ihn nur noch nicht genannt.«
»Wenn er sein Verhalten weder seinem König noch seinem Hauptmann zu erklären bereit ist«, bemerkte mein Vater in eisigem Ton, »wem denn dann?«
Resigniert sank ich auf die Stufen zum Podest. Auch wenn die Antwort klar war, wollte ich sie nicht aussprechen. Wenn London seinem König keine Rechenschaft ablegte, würde er es auch bei niemand sonst tun.
»Ich möchte ihn noch einmal sehen, Vater«, sagte ichschließlich und verspürte an der Stelle, wo sich bis jetzt mein Herz befunden hatte, nur einen dumpfen Schmerz. »Ich muss mich doch von ihm verabschieden.«
Ich wusste, dass das die letzte Gelegenheit wäre, London zu sehen. Mir war es verboten, den Palast zu verlassen, und London würde das Gelände nicht mehr betreten dürfen. Ich wusste ja nicht, wie lange diese Vorschriften gelten würden, aber selbst wenn sie aufgehoben wären, war es fraglich, ob er sich bereit erklären würde, mich jemals wieder zu treffen und zu sprechen. Ich hatte mit einer einzigen Audienz bei meinem Vater sein Leben zerstört, da konnte ich es ihm nicht einmal verübeln, falls er mir das nie verzeihen würde.
»Na schön«, stimmte mein Vater zu und sah mich etwas mitfühlender an. »Ich werde ihn morgen früh, bevor er des Schlosses verwiesen wird, in deinen Salon bringen lassen.«
»Danke«, murmelte ich und erhob mich, um zu knicksen. Danach verließ ich den Thronsaal und begab mich in meine Gemächer. Dort wollte ich versuchen, meine Gefühle und Gedanken zu ordnen, bevor ich London ins Gesicht sehen musste.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf und setzte mich auf die Kante meines Sofas, um London zu erwarten. Mir war klar, dass man ihn bei Sonnenaufgang herbringen würde, und ich wollte keinesfalls riskieren, ihn zu verpassen. Destari und Tadark leisteten mir stumm Gesellschaft. Tadark stand neben dem Kamin, Destari hatte sich mit finsterer, grüblerischer Miene neben der Tür zum Gang postiert.
Es gab so vieles, was ich London sagen wollte, aber mir würde nicht viel Zeit bleiben, außerdem war ich unsicher, wie ich mit ihm reden sollte. Ich wusste nicht,in welcher Stimmung und ob er überhaupt bereit wäre, mich anzuhören. Doch ich musste es zumindest versuchen.
Es klopfte, und ich sprang auf, als Destari bereits vortrat. Er riss die Tür auf, und da stand London, in Begleitung eines Mannes der Palastwache, fast so groß wie Destari und doppelt so schwer. Offenbar glaubte Cannan, jemand von diesem Kaliber sei nötig, um London in Schach zu halten. Hätte er Widerstand geleistet, wäre das wohl notwendig gewesen, doch in dieser Situation war es völlig unnötig.
»London!«, rief ich, als würde es mich überraschen, wer da vor meiner Tür stand. »Ich hatte schon Angst, du würdest nicht kommen!«
»Wenn ich es hätte
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