Alera 01 - Geliebter Feind
Aufbruch bereitmachen«, schlug ich vor, um die Zeit, die ich in seiner Gesellschaft zuzubringen hatte, so kurz wie möglich zu halten.
»Oh, möchtet Ihr schon so bald aufbrechen?«, fragte er verbittert. »Der König erwartet uns nicht vor dem späten Nachmittag zurück. Und wir sollten ihn wirklich nicht enttäuschen.« Er kam näher und versenkte seinen Blick in meinen.
»Trotzdem muss sich jemand um die Pferde kümmern«, beharrte ich und wich ein Stück zurück. »Ihr und Tadark solltet sie zum Trinken an den Fluss führen.«
Einen Augenblick lang fürchtete ich, er würde mich einfach packen, und mein Puls begann zu rasen, als mir klar wurde, wie leicht es für ihn wäre, mir seinen Willen aufzuzwingen. Doch er ging an mir vorbei, und nur das Glitzern in seinen Augen verriet mir, dass es ihm erneut gelungen war, den gewünschten Effekt zu erzielen.
»Wie Ihr wünscht«, sagte er lässig über die Schulter. »Dann werden Tadark und ich eben die Pferde tränken.«
Er ging auf meinen verdutzten Leibwächter zu und gab ihm einen Schubs in Richtung Kutsche.
Zitternd lief ich Miranna und Temerson nach. Ich wusste, wie unvernünftig es eigentlich war, dass ich mich Steldor so vehement widersetzte. Schließlich erwartete man in Hytanica von Frauen, dass sie sich ohne Widerrede den Männern um sie herum fügten oder eben bereit waren, die Konsequenzen zu tragen. Und auch wenn Steldor noch nicht mein Ehemann war, so hatte er doch meinen Vater für sich eingenommen, und ich bezweifelte nicht, dass der König ihm im Umgang mit mir weitgehend freie Hand lassen würde.
Nachdem ich einen kleinen Hügel erklommen hatte, stellte ich erfreut fest, dass es dort tatsächlich ein paar Apfelbäume gab. Meine Schwester stand unter einem davon und starrte ins Geäst hinauf. Ich fragte mich gerade, wo Temerson wohl war, da hörte ich ein lautes Knacken und einen erstaunten Aufschrei hoch oben im Baum. Miranna riss vor Schreck den Mund auf, aber da fiel der junge Mann auch schon herab, und zwar direkt auf sie hinunter. Beide stürzten zu Boden, doch Temerson rappelte sich sofort wieder auf.
»Seid Ihr ver-verletzt?«, stammelte er, während ich zu ihnen rannte. Vor Verlegenheit war sein Gesicht puterrot.
»Nein, nein, mir fehlt nichts«, versicherte meine Schwester ihm, doch dabei stöhnte sie und machte keinerlei Anstalten aufzustehen.
»Äh, ka-kann ich Euch irgendetwas bringen?«
»Ein Schluck Wasser täte mir sicher gut«, erwiderte Miranna, die wohl nicht unbedingt Durst hatte, aber Temerson das Gefühl geben wollte, sich zumindest in irgendeiner Form nützlich machen zu können.
»Bist du dir sicher, dass du dich nicht verletzt hast?«,fragte ich zögernd, nachdem der junge Mann fort war. Ich fürchtete, sie würde ihre Verletzung nur herunterspielen, damit sich niemand Sorgen machte.
»Ja, mir fehlt wirklich nichts«, beharrte sie. »Ich habe nur einen kleinen Schlag abbekommen.«
»Was wollte Temerson denn in dem Baum?«
»Er hat versucht, diesen großen Apfel für mich zu pflücken – den reifen, roten an dem obersten Ast –, dann ist er heruntergefallen. Hilf mir doch bitte auf, ich möchte niemand zur Last fallen.«
Ich ergriff ihre Hand und hatte sie schon halb auf die Füße gezogen, als sie vor Schmerz aufschrie und wieder zurücksank.
»Was ist los?«, fragte ich ängstlich. »Wo hast du dich verletzt?«
»Ich – ich weiß nicht«, sagte sie und konnte nur mühsam sprechen. »Ich kriege keine Luft.«
»Ich rufe Hilfe.« Dann drehte ich mich in Richtung Kutsche und schrie: »TADARK!«
Der Elitegardist war praktisch sofort an meiner Seite. Wie auch Steldor, der meinen Hilferuf ebenfalls gehört hatte.
»Was ist passiert?«, fragte Steldor besorgt, als ob ich ihn und nicht meinen Leibwächter gerufen hätte.
Ich sah Tadark an, während ich erklärte: »Miranna ist verletzt – wir müssen sie so schnell wie möglich zurück in den Palast bringen.«
»So etwas habe ich schon einmal erlebt«, sagte Tadark und sah Steldor an.
»Willst du mich so dringend loswerden, Alera?« Steldors Stimme hatte einen harschen Unterton, und es war klar, dass er an Mirannas gespielten Anfall in der Bibliothek dachte, der unter den Wachen zweifellos die Runde gemacht hatte.
Ich reagierte aufgebracht. »Auch wenn Euch das jetzt unvorbereitet trifft, Steldor, aber es dreht sich nicht immer alles nur um Euch! Meine Schwester ist verletzt, und ich verlange, dass Ihr uns unverzüglich in den Palast
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