Alera 01 - Geliebter Feind
konnte, übernahm Miranna das Kommando und standauf, um ihn zu begleiten. Dabei warf sie mir einen eisigen Blick zu, der mich ermahnte, nachzugeben, und ich seufzte resigniert.
»Wenn ich es mir recht überlege, klingt ein Spaziergang doch verlockend«, brachte ich in gezwungenem Tonfall heraus.
Ich stand auf und griff rasch nach Mirannas Hand. Mit ihr an meiner Seite war ich zumindest nicht gezwungen, neben Steldor zu gehen.
Die beiden Offiziere folgten uns unverzüglich. Tadarks Auftrag und Steldors Stolz ließen es nicht zu, dass wir weit vorausliefen. Temerson folgte uns vier und schien von unserer Gesellschaft zu eingeschüchtert, als dass er mit uns Schritt gehalten hätte.
Das Gelände fiel sanft zum Recorah hin ab und wurde am Ufer völlig eben, sodass wir dicht am reißenden Wasser entlangspazieren konnten. Der Fluss änderte hier seine Richtung und floss nicht mehr nach Westen, sondern bog nach Westen in Richtung der sich in der Ferne erhebenden Hügel ab. Sein breites Bett wurde schmaler, was das Wasser schneller fließen ließ und am gegenüberliegenden Ufer weiße Gischt erzeugte. Die einzige Brücke, über die man in unser Königreich gelangte, befand sich einige Kilometer westlich von uns und wurde von hytanischen Soldaten schwer bewacht. Auch wenn die gefühlte Bedrohung durch die Cokyrier nach der Gefangennahme der Hohepriesterin erst einmal wieder abgeebbt war, hatten mein Vater und Cannan in ihrer Wachsamkeit nicht nachgelassen. Weiterhin kontrollierten Patrouillen die hytanische Grenze, und die Brücke war rund um die Uhr mit Wachen besetzt.
Miranna und ich folgten der Biegung des Flusses und unterhielten uns leise. Steldor versuchte, sich neben michzu schieben, doch da ich ganz dicht am Wasser ging und Miranna an meiner anderen Seite festhielt, hatte er keine Möglichkeit, näher an mich heranzukommen. Er versuchte es kein zweites Mal, wohl um sich nicht lächerlich zu machen. Stattdessen gesellte er sich zu Tadark, mit dem er ein Gespräch anfing, das gerade so laut war, dass wir es gut mithörten.
»Dann bist du nun also Aleras neuer Leibwächter?«, fragte er mit einem listigen Unterton, der mir nicht behagte.
»Ja, das bin ich«, antwortete Tadark stolz.
»Dann wollen wir hoffen, dass du deine Sache besser machst als dein Vorgänger.«
»Ich bin ohne Zweifel besser als er!«, verkündete Tadark aufgeregt. »London war kein guter Leibwächter. Er konnte Alera keine Minute lang im Auge behalten. Ich weiß gar nicht, wie so jemand es in die Elitegarde geschafft hat. Er war eindeutig nicht für eine so verantwortungsvolle Aufgabe geschaffen.«
»Das stimmt«, sagte Steldor mit gespielter Betroffenheit. »Anders als mein Vater habe ich ohnehin nie große Stücke auf ihn gehalten. Der Hauptmann geriet völlig außer sich, als herauskam, dass London der Verräter war. Ich persönlich begreife ja nicht, warum das niemand hat kommen sehen. Denn schließlich war er schon immer ein wenig renitent.«
»Ich habe es kommen sehen!«, rief Tadark und klang wie ein aufgeregter Fünfjähriger. »Schon vom ersten Augenblick an war mir klar, dass irgendwas mit ihm nicht stimmte. Ich habe ihm auch nie wirklich getraut, denn er war mit seinen Gedanken oft woanders. Ganz so, als habe die Prinzessin für ihn nicht die oberste Priorität besessen.«
Weil ich es nicht mehr ertragen konnte, öffnete ichden Mund, um London zu verteidigen, doch Mirannas besänftigende Stimme kam mir zuvor.
»Ignorier sie einfach«, riet sie mir. »Sie wissen doch gar nicht, wovon sie da reden. Außerdem macht Steldor das mit Absicht. Er will dich provozieren. Gönn ihm doch nicht den Triumph, das geschafft zu haben.«
Mit einiger Mühe fand ich meine Contenance wieder und mir wurde klar, dass meine Schwester recht hatte. Steldor und Tadark unterhielten sich weiter, aber ich gab mir alle Mühe, wegzuhören, denn ihre Worte schmerzten mich und steigerten nur meinen Widerwillen gegen den Hauptmannssohn.
Schließlich drehten wir um und kehrten zu unserem Picknickplatz zurück, wo die Körbe schon auf der Decke warteten. Tadark zog sich zur Kutsche zurück, während Temerson endlich zu uns anderen aufschloss. Also setzten wir uns und packten den Proviant aus. Unser Mahl aus dunklem Brot, verschiedenen Käsesorten, kalter Suppe, Obst und Wein sah köstlich aus, doch Steldors Anwesenheit kostete mich wieder einmal den Appetit. Trotzdem war ich dankbar für das Essen, weil es mich für eine Weile von der Verpflichtung, mich zu
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