Alera 01 - Geliebter Feind
Weg herunter«, sagte er und sprang flink vom Felsen, »als ich Euch fallen sah.«
Er drehte sich um und bot mir seine Hand an, doch Halias stieß ihn beiseite und hob mich hinunter. Der Gardist hatte mich offensichtlich auch ins Wasser fallen sehen, war aber nicht nah genug gewesen, um mich zu retten. Narian musste in der Tat sehr nah gewesen sein, weil er mich zu fassen bekam, bevor ich vor der Macht des Flusses kapituliert hatte – bedeutend näher als beide Leibwächter und definitiv näher als der Weg.
»Alles in Ordnung, Prinzessin?«, fragte Halias besorgt. »Seid Ihr verletzt?«
»Es geht schon«, versicherte ich ihm, obwohl mein Herz angesichts der Gefahr, in der ich geschwebt hatte, immer noch wie wild klopfte und ich vor Kälte zitterte.
Miranna und Semari, die sich aneinandergeklammert hatten, als ob sie fürchteten, ebenfalls in den Fluss zu stürzen, kamen zu mir geeilt. Miranna umarmte mich stürmisch und war offenbar froh, mich am Leben zu sehen. Dann begannen sie und Semari erleichtert zu lachen. Sogar ich musste über meinen uneleganten Wassergang ein wenig kichern.
Miranna wrang das Wasser aus meinem langen Haar, und Halias nahm seinen königsblauen Umhang ab. Er bestand darauf, dass ich ihn mir umlegte, um mich zu wärmen. Nachdem ich das getan hatte, schaute ich auf meinen Rock hinunter. Er war zerknittert und triefnass. In den Falten hatte sich Schmutz festgesetzt. Danach sah ich Narian an. Sein dunkles Hemd und seineReithose waren an den Stellen, wo er mich an sich gepresst hatte, ebenfalls nass.
Jetzt musterte auch Halias Narian, und zwar mit einer deutlich strengeren Miene als ich. Mir wurde klar, wie kompromittierend der Vorfall für ihn und Tadark sein musste. Letzterer war in ein paar Metern Entfernung stehen geblieben. Offenbar zu schockiert, um näher zu treten (schließlich war ja er für meine Sicherheit verantwortlich). Die beiden waren dafür ausgebildet, zu registrieren, wenn auch nur ein feindseliger Blick auf einen Angehörigen der Königsfamilie fiel, und sofort zu reagieren. Und nun waren sie mühelos von einem sechzehnjährigen Jungen ausgestochen worden. Noch dazu hatte dieser Junge soeben die Würde, wenn nicht sogar das Leben von einem ihrer Schützlinge gerettet.
»Was ist denn hier los?« Eine Männerstimme ertönte und ein atemloser Koranis tauchte gefolgt von Zayle zwischen den Bäumen auf. Koranis’ Augen weiteten sich vor Schreck, als er an Tadark vorbei freie Sicht auf die ganze Szenerie hatte.
»Meine Güte, Prinzessin Alera«, rief er. »Was ist mit Eurem Kleid passiert?«
Er musterte der Reihe nach alle, die um mich herumstanden. Als er den Zustand der Kleider seines ältesten Sohnes bemerkte, runzelte er die Stirn.
»Ich bin hineingefallen«, beeilte ich mich zu sagen und deutete mit der Hand auf den Fluss. »Nar- … Kyenn hat mich gerettet.« Rasch sah ich Narian an, um abzuschätzen, wie er es aufnahm, dass ich diesen Namen verwendete, aber seine Miene blieb unbewegt. »Ich bin ihm sehr dankbar.«
»Ihr solltet sofort zum Haus zurückkehren«, erklärte Koranis, was in Anbetracht meiner Verfassung eine ziemlich überflüssige Bemerkung darstellte. »Wirhaben sicher etwas zum Anziehen für Euch.« Er starrte Narian an und verkündete mit seiner dominanten Art: »Kyenn und ich werden Euch begleiten. Auch er sollte sich umkleiden.«
»Ich danke für Eure Fürsorge, aber mir wäre es recht, wenn nicht auch allen anderen der Nachmittag verdorben wäre«, stellte ich höflich, aber entschlossen klar. »Ich bin vollkommen unverletzt, also gibt es keinen Grund, mich zu Eurem Haus zu eskortieren. Die Baronin wird ohnehin dort sein, um mir die nötige Hilfe angedeihen zu lassen. Daher wäre es mir lieber, Ihr würdet Euch von Eurem Tag erholen, anstatt Euch weitere Umstände zu machen, während ich mich auf einen Spaziergang zu Eurem Haus begebe.«
»Ach bitte, Papa!«, platzte Semari heraus. »Warum bleibt Ihr nicht noch ein wenig? Ihr und Zayle seid doch gerade erst gekommen.«
Koranis schwieg und schien zu überlegen. Ich erinnerte mich daran, dass Semari erzählt hatte, er sei aufgefordert worden, Narian scharf im Auge zu behalten. Dazu passte es wohl kaum, ihn mit der hytanischen Kronprinzessin durch den Wald streifen zu lassen. Fragend drehte er sich zu Halias um. Als der Elitegardist zustimmend nickte, lächelte Koranis seine Tochter nachsichtig an.
»Ich denke, ein wenig könnte ich noch bleiben«, erklärte der Baron. »Kyenn, du kehrst mit
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