Alera 02 - Zeit der Rache
Cokyrierin. Auf alle Fälle schien er im Moment keinen Gedanken an seinen Vorgesetzten zu verschwenden.
»Heile ihn«, knurrte London und wandte den Blick nicht von der angriffslustigen Hohepriesterin.
Halias hatte sich ein Stückchen hinter Cannan begeben, und ich trat näher, während Galen blieb, wo er war, und Miranna sich ins Dunkel kauerte. Vielleicht erkannte sie unseren unheimlichen Gast aus ihrer Zeit in Gefangenschaft. Temerson hielt draußen Wache. Und auch wenn meine Schwester wahrscheinlich Trost gebraucht hätte, war ich zu gefesselt von den Vorgängen, um zu ihr zu gehen.
Auch wenn Halias sich so postiert hatte, dass er seinen Hauptmann, falls nötig, zurückhalten konnte, ruhte der erstaunte Blick des Elitegardisten auf London. Kurz wanderte sein Blick zu mir, wohl um meine Reaktion auf die bizarre Äußerung zu prüfen, die noch im Raum stand. War Londons Verstand während der Reise in Mitleidenschaft gezogen worden? Nantilam starrte ihn jedoch kein bisschen verwirrt an.
»Ist das Euer berühmter junger König?«, fragte sie verächtlich, und Cannans Knöchel um den Griff seines Dolches wurden weiß.
»Ja, das ist unser König. Und du wirst ihn heilen.«
Einige Augenblicke lang antwortete die Hohepriesterin nicht, sondern behielt ihre hochmütige Haltung, während sie und London einander anstarrten.
»Er wird sterben.«
Da packte London sie an der Hemdbrust, um sie hochzuziehen, und schleuderte sie heftig gegen die Höhlenwand, vor der sie dann zusammengekrümmt liegen blieb. Sie erhob sich nicht, sondern funkelte den Hauptmannstellvertreter nur zornig an, während der mit verschränkten Armen und vor Wut kochend über ihr stand.
»Du wirst ihn heilen«, wiederholte London und betonte jedes Wort. Dann änderte sein Ton sich ein wenig, wurde weniger feindselig, aber noch selbstsicherer. »Das wird für dich ebenso von Vorteil sein wie für uns, wenn du tust, was ich sage. Wenn die Sache nicht so ausgeht, wie wir uns das wünschen, und dein Bruder uns findet, welches bessere Geschenk könntest du ihm dann anbieten als den König, lebendig und wohlauf, um ihn nach seinem Belieben zu foltern? Sollte es dagegen nach unseren Wünschen ausgehen, dann wirst du meine Gnade bitter nötig haben.«
Nantilam ließ Londons Blick nicht los, und auch ihre Haltung änderte sich nicht. Aber sie erwiderte auch nichts, also schien sie ihre Optionen zu prüfen. Die Anspannung wuchs und machte einem das Atmen schwer, obwohl keiner von uns wusste, was da zwischen dem stellvertretenden Hauptmann und der Hohepriesterin vor sich ging. Ich vermochte mir nicht vorzustellen, was Nantilam für Steldor tun könnte, aber wenn sie dazu in der Lage wäre, dann war Londons Logik bestechend. Sie schien zu demselben Schluss gekommen, denn sie rappelte sich auf, hielt den stolzen Blick auf ihren Entführer geheftet, nickte dann und drehte sich um, um auf meinen Gemahl zuzugehen. Zu meiner und ihrer Überraschung ließ da jedoch London eine Hand auf ihre Schulter fallen und hielt sie zurück.
»Cannan«, sagte London, und ich verstand seine Bedenken. »Lasst die Hohepriesterin näher kommen. Sie wird ihm kein Leid zufügen.«
»Ich hoffe, dass Ihr verdammt noch mal recht habt.«
Die Stimme des Hauptmannes war leise und rau, und obwohl ich in den Augen dieses feindseligen Mannes nur noch wenig von dem Cannan sah, den ich kannte, war ich dennoch geneigt, mich auf seine Seite zu stellen. Man verstand London nicht. Schließlich verdiente Steldor es, würdig, das hieß, in seinem eigenen Tempo und umgeben von seinen Landsleuten, zu sterben. Doch London kam näher und kniete sich neben Steldor, sodass er sich gegenüber von Cannan befand. Dann streckte er die offene Hand nach dem Dolch aus.
»Hört mich an«, flehte er. »Uns bleibt nicht viel Zeit. Wenn Ihr mir nicht vertraut, wird Steldor sterben, doch wenn Ihr es tut, dann gelingt es ihr vielleicht, ihn zu retten. Euer Sohn kann am Leben bleiben, wenn Ihr mich nur anhört. Und jetzt gebt mir den Dolch.«
Londons flammende Worte und etwas in seiner Stimme erreichten die Vernunft des Hauptmannes, sodass er seine Waffe aushändigte. London winkte Nantilam, näher zu treten. Sie gesellte sich zu den Männern auf den Boden und zog die Verbände rund um Steldors Leib herunter. Dabei zeigte sie keinerlei Reaktion auf das geschwollene, verletzte Fleisch, dessen Anblick mir Übelkeit verursachte. Sie legte ihre Hände auf die Wunde, was für Anspannung bei Cannan sorgte, und dann
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