Alera 02 - Zeit der Rache
kehrte er dann zurück, bevor ich zu Bett ging. Trotzdem war er immer schon verschwunden, wenn ich morgens aufstand. An anderen Tagen erschien er sogar erst gegen Morgen, um sich frische Kleider anzuziehen und danach sofort wieder aufzubrechen und sich seinen Amtsgeschäften zu widmen. Als wäre es das Natürlichste der Welt, mehrere Tage hintereinander ohne Schlaf zu verbringen. Alles in allem sah ich ihn selten, und wenn sich unsere Wege kreuzten, sprachen wir bestenfalls flüchtig miteinander.
Trotz unserer seltenen Begegnungen hatte seine Gereiztheit mir gegenüber seit seiner sanftmütigen Reaktion auf meine Entschuldigung spürbar zugenommen. Fast schien es, als müsse er jede nette oder sensible Geste durch besonders gemeines Benehmen aufwiegen. Es versteht sich wohl von selbst, dass ein derart flatterhaftes Verhalten meinen Wunsch nach seiner Gesellschaft nicht gerade verstärkte. Und ebenso wenig schien er sich vorläufig nach mir zu sehnen. Ich überlegte hin und her, ob er mit jedem so launenhaft umging oder ob er diese Eigenart speziell für mich reserviert hatte.
Nur ein paar Tage vor Mirannas Geburtstag suchte ich meinen liebsten Rückzugsort auf, den Garten zwischen der Rückseite des Palasts und dem nördlichen Teil der umfriedeten Stadt. Um diese Jahreszeit erfüllte dort Blumenduft die Luft, während Ulmen, Eichen, Kastanien und Maulbeerbäume angenehmen Schatten spendeten. Ich schlenderte einen der Fußwege entlang, die den Garten in vier Bereiche teilten, lauschte dem Zwitschern der Vögel und ließ meine Gedanken schweifen. Schließlich blieb ich stehen, um einen der vier doppelstöckigen Marmorbrunnen zu betrachten, dessen sprudelndes Wasser im Sonnenschein glitzerte. Das Geräusch und die Bewegung hatten etwas geradezu Hypnotisierendes. Ich war völlig in Gedanken versunken und achtete gar nicht auf meine Umgebung, bis eine Stimme mich aus meinen Tagträumen riss.
»Da bist du ja!«, rief Miranna. Sie sprang den Weg herunter auf mich zu und sah überglücklich aus. Als sie mich erreicht hatte, packte sie mich am Arm und zog mich zum Palast zurück. Unterwegs redete sie so schnell auf mich ein, dass ich mich schrecklich konzentrieren musste, um auch nur ungefähr zu verstehen, wovon sie überhaupt sprach.
»Ich habe dich schon überall gesucht, Alera! Gerade habe ich mit Vater gesprochen, und er hat mich wissen lassen, dass er bei meinem Geburtstagsessen etwas bekannt geben möchte. Ich wage es ja kaum zu hoffen, aber ich glaube zu ahnen, was es sein wird. Und dann wird das ein unvergesslicher Geburtstag für mich!«
Ich versuchte gar nicht erst, sie zu nötigen, mir ihre Vermutung zu verraten, denn wenn sie es wollte, würde sie mich ohnehin einweihen. Angesichts ihrer Begeisterung war jedoch leicht zu erraten, dass es um Temerson ging, den schüchternen jungen Mann, für den sie schon seit fast einem Jahr schwärmte.
Sie führte mich den ganzen Weg bis zu ihren Gemächern und schnatterte die ganze Zeit über die Notwendigkeit, das perfekte Kleid zu finden, sich tadellos frisieren zu lassen, und darüber, dass sie beide Fragen gelöst haben musste, bevor man über das passende Diadem auch nur nachdenken konnte. Ihre Wangen waren gerötet und ihre blauen Augen glitzerten, während sie mir von ihren Sorgen berichtete. Ich amüsierte mich köstlich, während sie in ihr Schlafgemach stürmte, dass ihre rotblonden Locken nur so flogen. Wahrscheinlich war sie der einzige Mensch im ganzen Königreich, der sie nicht sowieso zu jeder Zeit für wunderschön hielt.
Nachdem wir ihre Kleider dreimal durchgesehen hatten, gelang es mir, sie davon zu überzeugen, welches Kleid ihr am besten stehen würde. Und es war kein Zufall, dass ich eines gewählt hatte, zu dem nur eines ihrer Diademe passte. Die Entscheidung über die Frisur würde noch warten müssen, da Ryla, die Kammerzofe, die ich erst kürzlich für sie eingestellt hatte, an diesem Aspekt der Vorbereitungen beteiligt sein sollte.
Auch wenn Miranna die Entscheidungen noch ein bisschen infrage stellte, war sie immerhin schon zufriedener als vorher. Als wir uns in ihren Salon begaben, setzte ich mich auf das Sofa, während sie sich in einen Lehnstuhl fallen ließ.
»Ich weiß gar nicht, wie ich es bis zum Fest noch aushalten soll«, sagte sie, vermochte dabei kaum still zu sitzen und riss mit solcher Heftigkeit an der Haarsträhne, die sie dauernd aufzwirbelte, dass ich begann, mir Sorgen um ihre Kopfhaut zu machen. »Jetzt habe ich Temerson
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