Alera 02 - Zeit der Rache
schon seit fünf Wochen nicht gesehen! Kannst du dir das vorstellen? Es kommt mir vor wie fünf Jahre!«
»Dann ist er auf der Militärakademie wohl sehr beschäftigt?«, fragte ich, nur um Konversation zu machen, denn eigentlich wusste ich genau, dass dies der Grund war. Das Ausbildungsjahr dauerte von Anfang November bis Ende Juni. Der Grund, warum Miranna Temerson vor fünf Monaten gesehen hatte, war meine Hochzeit gewesen. Es war seltsam, sich vorzustellen, dass es auch Mirannas Hochzeit hätte sein können, wenn ich auf meinen Thronanspruch verzichtet und mich geweigert hätte, Steldor zu heiraten. Es war geradezu herzzerreißend, sich vorzustellen, was das für Temerson bedeutet hätte. In diesem Fall hätte er mit ansehen müssen, wie die Frau seiner Träume einen Mann ehelichte, der ihn stets übertroffen, eingeschüchtert und in den Schatten gestellt hatte und der sie in seinen Augen auch viel eher verdiente als er selbst.
Ich fragte mich, ob Narian – wo auch immer er gerade sein mochte – überhaupt wusste, dass ich Steldor geheiratet hatte. Wenn ja, was mochte er dann wohl von mir denken? Ich hatte Narian mein Herz geschenkt, mich dann jedoch einem Mann versprochen, von dem er wusste, dass ich ihn verabscheute. Narian selbst hatte mir versichert, dass ich Steldor entgehen könnte. Und auch wenn er geflohen war, glaubte ich, dass er das aus gutem Grund getan hatte und nach Hytanica zurückkehren würde, sobald es ihm möglich wäre. Warum nur hatte ich nicht auf ihn gewartet? In jedem Fall würde er bitter enttäuscht von mir sein. Schlimmstenfalls käme er überhaupt nicht zurück, weil er meinen Verrat nicht ertrüge. Aber letztlich wäre seine Meinung von mir ohnehin unerheblich, falls er überhaupt zurückkäme. Ich würde niemals mit ihm zusammen sein können, weil mein Ehegelübde uns auf ewig trennte.
Miranna plapperte weiter von ihrem »Liebsten«, wie sie Temerson inzwischen nannte, und schien meine geistige Abwesenheit gar nicht zu bemerken. Ich versuchte auch, meine trüben Gedanken beiseitezuschieben, damit meine Stimmung sie nicht beeinträchtigte.
»Aber am 30. Juni ist das Ausbildungsjahr dann endlich vorbei«, zwitscherte Miranna fröhlich. »Und dann haben wir einen ganzen gemeinsamen Sommer vor uns!« Plötzlich hörte sie abrupt auf, mit ihrem Haar zu spielen und ihre Stimme bekam einen furchtsamen Unterton. »Du denkst doch auch, dass er ihn mit mir verbringen wollen wird, nicht wahr?«
»Ich habe keinen Zweifel daran, dass er jede freie Stunde mit dir verbringen will.«
»Natürlich, du hast recht«, stimmte sie mir zu und errötete auf bezaubernde Weise. »Er ist hoffnungslos in mich verliebt.«
»Also, ich kenne durchaus noch jemanden, der hoffnungslos verliebt ist«, sagte ich lachend.
Sie ließ sich tiefer in den Sessel sinken. Ihr Gesicht strahlte vor Freude und sie phantasierte laut vor sich hin.
»Wäre das nicht wundervoll? Temerson heiraten, eine prächtige Hochzeit feiern – so prächtig wie deine! Und dann bekämen wir Kinder, ganz viele, und sie wären alle wunderhübsch und würden aussehen wie er.« Sie machte eine Pause und runzelte die Stirn. »Bis auf eines. Eines würde mir ähneln. Eines könnte doch wie ich aussehen, oder?«
»Ja, eines könnte wie du aussehen.«
»Ach, Alera«, stieß sie hervor und beugte sich zu mir. »Wie deine Kinder wohl aussehen werden? Du bist so hübsch, und mit Steldor als Vater …«
Sie verlor sich in Gedanken und schien von meinem künftigen Nachwuchs zu träumen. Ich wurde dagegen rot, weil mir klar war, dass es so, wie die Dinge lagen, noch sehr lange dauern dürfte, bis sich ein Thronfolger ankündigen würde.
Sie bemerkte meine veränderte Stimmung, riss die Augen auf und zog eine Schlussfolgerung, mit der ich keinesfalls gerechnet hätte.
»Alera, bist du vielleicht … vielleicht schon schwanger?«
»Ganz sicher nicht!«, platzte ich ein wenig zu heftig heraus und bewies damit, wie abwegig diese Vorstellung war. Miranna setzte sich kerzengerade auf und wirkte von meiner Reaktion leicht irritiert. Ich versuchte, ihren Eindruck rasch mit einer etwas gelasseneren Äußerung zu relativieren.
»Nein, ich bin nicht schwanger. Noch nicht.«
»Da stimmt doch etwas nicht, Alera. Behandelt er dich etwa nicht gut?«
»Nein, nein, damit hat es nichts zu tun. Es ist alles in Ordnung, wirklich.« Ich bemühte mich um einen lockeren Ton, doch die Röte auf meinen Wangen wollte nicht verschwinden.
»Ist es wegen Narian?«,
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