Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
ziemlich seltsam. Sie nahmen einen Datenkristall mit. Aber der Dieb kann nichts mit ihm anfangen. Er müßte den Sicherheitskode kennen, um Zugang zu ihm zu bekommen.«
»Den Tanner-Speicher«, sagte ich mit plötzlicher Gewißheit.
»Ja. Woher weißt du das?«
»Ich habe geraten.«
»Es kommt mir sehr komisch vor, etwas zu stehlen, was man nicht gebrauchen kann.«
»Das andere, das Silber und was sie sonst noch mitgenommen haben, war ein Vorwand«, sagte ich. »Sie haben genau gewußt, was sie suchten. Wie viele waren es? Hast du jemanden erkannt?«
»Sie haben die Energiezufuhr unterbrochen, bevor sie hereinkamen, Alex. Ich war nicht funktionstüchtig.«
»Wie haben sie das gemacht?« fragte ich.
»Es war ein Kinderspiel. Sie haben einfach ein Fenster aufgebrochen, sind in den Versorgungsbereich eingestiegen und haben ein paar Kabel durchgeschnitten. Da unten habe ich keine optischen Überwachungsmöglichkeiten.«
»Verdammt. Gab es keine Alarmanlage? Etwas, um das zu verhindern?«
»O ja. Aber weißt du, wie lange es her ist, daß in dieser Gegend ein schweres Verbrechen begangen wurde?«
»Nein«, sagte ich.
»Jahrzehnte. Buchstäblich Jahrzehnte. Die Polizei ging davon aus, daß es sich nur um eine Fehlfunktion handelte. Sie hat nur langsam reagiert. Selbst, wenn sie schneller gewesen wäre, hätte ein einzelner Dieb, falls er sich im Haus auskennt und genau wußte, was er sucht, alles in drei Minuten erledigen können.«
»Jacob, woran hat Gabe gearbeitet, als er starb?«
»Ich weiß nicht, ob ich diese Information jemals besaß, Alex. Jetzt habe ich sie mit Sicherheit nicht mehr.«
»Wie gut sind die Sicherheitsvorkehrungen des Tanner-Speichers? Bist du sicher, daß der Dieb nicht an ihn heran kann?«
»In vielleicht zwanzig Jahren. Deine Stimme ist erforderlich, und ein Sicherheitskode, der sich im Besitz von Brimbury und Conn befindet.«
»Der Dieb kann sich leicht eine Stimmaufzeichnung von mir verschaffen und kopieren. Wir benachrichtigen lieber die Anwälte, daß sie mit dem Kode Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.«
»Das ist bereits geschehen, Alex.«
»Vielleicht stecken die Anwälte mit drin.«
»Sie haben keinen Zugang zum Kode. Sie können ihn dir nur übergeben.«
»Was für ein Kode ist das?«
»Eine Ziffernfolge, die von dir gesprochen werden muß, oder ein vernünftiges Faksimile davon, über einen Zeitraum hinweg, der nicht kürzer als eine Minute ist. Das verhindert einen Hochgeschwindigkeits-Computerangriff. Jeder Versuch, die Vorsichtsmaßnahmen zu umgehen, führen zur sofortigen Vernichtung des Speichers.«
»Wie viele Ziffern?«
»Der empfohlene Standard beträgt vierzehn. Ich weiß nicht, wie viele Gabe benutzt hat.«
Ich saß still da und beobachtete das Feuer. Die Straßenlampen waren gelbe Flecke, und der Wind ließ die Bäume zittern. Vor dem Gleiter häufte sich Schnee auf. »Jacob, wer ist Leisha Tanner?«
»Einen Augenblick.« Die Zimmerbeleuchtung wurde trüber.
Irgendwo draußen schlug eine Metalltür zu.
Neben dem Fenster entstand ein Holo, eine Frau im Abendkleid, das Gesicht von mir abgewandt, als richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Sturm. Im trügerischen Licht des Kamins und der Natriumlampe sah sie betörend schön aus. Sie schien in Gedanken verloren zu sein, und die Schneedecke spiegelte sich in ihren Augen, ohne daß sie sie wahrnahm.
»Sie ist hier Mitte der Dreißig. Als diese Aufnahme entstand, war sie Dozentin an der Tielhard-Universität auf der Erde. Sie datiert etwa aus dem Jahr 1215 unserer Zeit.«
Sechs Jahre nach dem Widerstand. »Mein Gott«, sagte ich. »Ich ging davon aus, ich könne mich mit ihr unterhalten.«
»O nein, Alex. Sie ist schon seit geraumer Zeit tot. Seit über einem Jahrhundert sogar.«
»In welchem Zusammenhang steht sie mit dem Projekt, an dem Gabe gearbeitet hat?«
»Unmöglich zu sagen.«
»Gibt es sonst jemanden, der es wissen könnte?«
»Niemand, von dem ich weiß.«
Ich schenkte mir ein Glas des – echten – Mindinnebels ein. »Erzähl mir von der Tanner. Wer war sie?«
»Eine Gelehrte. Dozentin. Sie ist am bekanntesten für ihre Übersetzungen der ashiyyurischen Philosophin Tulisofala. Sie sind noch erhältlich, und einige Kapazitäten halten sie für die definitiven Übertragungen. Sie hat auch andere Übersetzungen verfaßt, doch die meisten davon sind nicht mehr lieferbar. Sie war vierzig Standardjahre lang Dozentin in ashiyyurischer Philosophie und Literatur an mehreren Universitäten.
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