Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
schüchtern.«
»Ja«, sagte sie. »Da stimme ich Ihnen zu, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das auch auf alle seine Nachbarn zutrifft. Er kam mir ganz in Ordnung vor, ein Einzelgänger, wenn Sie wissen, was ich meine. Hielt sich immer im Abseits. Hat viel gelesen. Die meisten Leute, mit denen er zusammengearbeitet hat, würden Ihnen sagen, daß er immer unter Zeitdruck stand, immer beschäftigt war. Doch wenn man ihn erst einmal besser kennenlernt, wird er schnell lockerer. Er hat einen wunderbaren Sinn für Humor, für einen ziemlich trockenen, den nicht jeder zu schätzen weiß. Mein Mann hält ihn für einen der lustigsten Menschen, die er je gekannt hat.«
»Ihr Mann …«
»… war mit ihm an Bord der Cordagne .« Sie blinzelte ins Licht der Doppelsonne. »Ich habe Hugh schon immer gemocht. Zu mir war er immer nett. Ich lernte ihn kennen, als Josh – mein Mann – und er gemeinsam für den Flug der Cordagne ausgebildet wurden. Wir hatten unsere Kinder dabei und waren damals neu auf Fischschüssel. Wir bekamen Probleme mit der Energieversorgung. Das Haus gehörte der Vermessung, doch ihre Wartungstechniker bekamen die Dinge einfach nicht in den Griff, besonders die Videoanlage, und die Kinder spielten beinahe verrückt. Entziehungssymptome, verstehen Sie? Ich weiß nicht, wie Hugh es herausfand, doch er bestand darauf, daß wir die Unterkunft wechselten.« Sie bemerkte, daß ich mein Glas geleert hatte, und füllte es schnell wieder auf. »So war er eben.«
»In welcher Hinsicht hat er sich verändert?«
»Ich weiß nicht, wie ich es genau beschreiben soll. All seine Eigenarten, seine exzentrischen Angewohnheiten, steigerten sich ins Extreme. Sein Sinn für Humor nahm einen bitteren Geschmack an. Er war schon immer schwermütig gewesen, doch nun bemerkten wir, wie er in eine Depression fiel. Und wenn er sich früher schon für sich hielt, wurde er nun zum Einsiedler. Ich bezweifle, daß er mit den meisten unserer Nachbarn in den letzten Jahren auch nur gesprochen hat.«
»Das klingt ganz nach ihm.«
»Er verkehrte nur noch mit seinen Kollegen. Aber da war noch mehr. Er entwickelte eine gemeine Ader. Zum Beispiel, als Harv Killian dem Krankenhaus sein halbes Vermögen vererbte, damit ein Zimmer nach ihm benannt wurde. Scott hielt das für pathetisch. Ich erinnere mich noch an seine Bemerkung: ›Er will sich kaufen, was er sich niemals verdienen konnte.‹«
»Unsterblichkeit«, sagte ich.
Sie nickte. »Er hat es Killian ins Gesicht gesagt. Harv hat danach kein Wort mehr mit ihm gesprochen.«
»Kommt mir grausam vor.«
»Es gab eine Zeit, da hätte Scott das nicht getan. Es ihm zu sagen, meine ich. Er hätte es gedacht, denn er war schon immer so. Aber er hätte nichts gesagt. Aber in den letzten paar Jahren …« Kleine dünne Linien erschienen um ihre Lippen und Augen.
»Sehen Sie ihn noch häufig?«
»Seit Monaten schon nicht mehr. Er ist irgendwohin. Keine Ahnung, wohin.«
»Könnte Josh es wissen? Ihr Mann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Vielleicht kann Ihnen jemand von der Vermessung helfen.«
Wir saßen eine Weile schweigend da. Ich verscheuchte ein paar Insekten. »Ich nehme nicht an«, sagte ich dann, »daß Ihr Mann jemals auf der Tenandrome war?«
»Er hat nur den einen Flug gemacht«, sagte sie. »Das hat gereicht.«
»Ja, denke ich auch. Kennen Sie jemanden, der auf einem Flug der Tenandrome dabei war?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das wird man Ihnen in Pellinor sagen können. Versuchen Sie es dort.« Sie schaute nachdenklich drein. »Er ist in den letzten paar Jahren viel gereist. Das ist nicht das erste Mal, daß er einfach verschwunden ist.«
»Wohin haben ihn diese anderen Reisen geführt? Hat er es Ihnen je gesagt?«
»Ja«, entgegnete sie. »Er wurde zum Geschichtsnarren. Er war mal ein paar Wochen bei Grand Salinas. Im Orbit dort draußen soll es eine Art Museum geben.«
Salinas war der Schauplatz von Sims erster Niederlage, der Ort, wo der dellacondanische Widerstand beinahe gestorben wäre.
»Vielleicht flog er nach Hrinwhar«, sagte sie plötzlich.
»Hrinwhar?«
Der berühmte Angriff. Aber Hrinwhar war nicht mehr als ein luftloser Mond.
»Ja.« Sie nickte heftig. »Jetzt, wo ich darüber nachdenke. Er hat ein paarmal gesagt, daß er Hrinwhar besuchen wolle.«
Scotts Haus war von ihrer Veranda aus nicht sichtbar, aber der Hügel, auf dem es stand. Sie schirmte die Augen vor dem Sonnenlicht ab und sah hinüber. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen«, fuhr sie
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