Alex Benedict 04: Das Auge des Teufels
und erkannte, dass ich, sollte dieser Stumme vorhaben, sich ein wenig mit mir zu vergnügen, keine Hilfe zu erwarten hatte.
Ich trat mich los, und er starrte mich an. Dann richtete er einen dieser kalten, grauen Finger auf die Küste.
Ich zog mich hoch. Fiel beinahe zurück, weil die Sprossen zu weit auseinanderlagen. Zwei weitere Stumme sprangen ins Wasser, darunter eine Frau.
Ich stand auf dem Floß und musterte den Kerl im Wasser. »Was?«, fragte ich.
Er dümpelte auf und nieder und trug dabei ein Mienenspiel zur Schau, das mir unverständlich blieb.
Dann zeigte er mir seine Reißzähne.
Großartig. Ich hielt die Hände hoch und dachte: Geh weg! Lass mich in Ruhe!
Da packte er zu meinem Entsetzen die Leiter und kletterte zu mir herauf.
Er trat auf das Floß, deutete auf das Wasser und zeigte mir einen Mund voller Zähne. Dann zeigte er auf seine Prämolaren und wieder auf das Wasser.
Ich verstand.
Das erklärte, warum niemand auf dem Floß oder im Wasser war. Der Mann tat, als wolle er in Richtung Strand zurück ins Wasser springen. Los jetzt!
Ich sah mich um, rechnete beinahe damit, eine Finne zu sehen, doch da war nichts.
Los jetzt!
Nun, niemand soll sagen, eine Kolpath wäre unfähig, einem Hinweis zu folgen! Ich sprang, tauchte ins Wasser und schwamm Richtung Küste. Er sprang ebenfalls ins Wasser und blieb die ganze Zeit bei mir.
Als wir den Strand erreicht hatten, erstarrten die Stummen, wie sie es in feierlichen Momenten zu tun pflegten. Sie alle sahen ihn an, und ich wusste, sie sprachen mit ihm.
Das war ein unheimlicher Vorgang, der plötzlich und für alle gleichzeitig beendet war. Als hätte jemand einen Schuss abgefeuert. Sie zerstreuten sich einfach.
Ich ging zu dem Stummen, der hinter mir hergeschwommen war, und formulierte das Wort Danke, so klar ich nur konnte. Er sah mich an und schauderte. Inzwischen hatte ich genug Zeit mit ihnen verbracht, dass mich das Schaudern nicht erstaunen konnte, aber ich fragte mich, ob er verstanden hatte, was ich ihm zu vermitteln suchte.
Später am Abend, als ich Selotta begegnete, erzählte ich ihr von meinem Abenteuer am Strand. Sie sagte mir, es habe am frühen Morgen eine Sichtung einer Vooparoo- Schule gegeben. Natürlich, fügte sie hinzu, stünde es mir frei, das Wort ganz so zu übersetzen, wie es mir gefiele.
Ein Vooparoo war eine Kreatur, die einem Hohltier oder einer Qualle ähnelte, einen weichen, gelatineartigen Körper und lange Tentakel hatte. Die Größe schwankte zwischen beinahe mikroskopisch klein und zehn Metern. Die Vooparoos, die in der Nähe des Strands gesehen worden waren, waren groß gewesen, weshalb eine Warnung herausgegeben worden war. Aber selbst die kleinen, so erklärte Selotta mir, konnten schmerzhafte Stichwunden verursachen. Die Größeren waren für die Stummen lebensgefährlich. Niemand wusste, wie sich ein Biss auf einen Menschen auswirken würde, aber ich war ziemlich sicher, dass er nicht gerade bekömmlich wäre. »Ich schätze«, sagte Selotta, »die Leute am Strand wollten vermeiden, dass Sie die Erste sind, die es herausfindet!«
Selotta lebte in einer weiß-goldenen Villa am Stadtrand. Die Wände hatten einen dunklen Farbton, dunkel genug, dass die meisten Leute ihn schon als bedrückend empfunden hätten. Die Möbelstücke waren groß, die Räume weitläufig, die Decken hoch. Ich war wieder und wieder zu Klettereien gezwungen, wollte ich zum Beispiel auf einem Lehnsessel Platz nehmen. Selbst Alex verlor sich regelrecht in der Weite der Räume.
Die Villa verfügte über eine verglaste Veranda mit mehreren Stühlen und einem Tisch. Am Abend der Vooparoos saß ich zusammen mit Selotta draußen, während die Küche das Essen bereitete. Alex hatte sich wie üblich in die Geschichte des Altertums im Universum der Stummen vergraben.
Kassel war noch nicht nach Hause gekommen. In den letzten paar Tagen hatte er sich mit einem politischen Streit über kommerzielle Lizenzierungsfragen herumgeschlagen und war jeden Abend erst spät heimgekommen. »Lassen Sie sich von ihm nicht hinters Licht führen!«, meinte Selotta. »Er macht das immer. Tut, als wäre er verärgert, und behauptet, für die nächste Amtsperiode würde er sich nicht mehr zur Wahl stellen, aber ich habe das alles schon früher gehört. Er ist gern Bürgermeister, und die Wähler scheinen ihn zu mögen, also nehme ich an, er wird noch eine Weile im Amt bleiben.«
Sie hatte besondere Speisen für uns bereitet, doch trotz ihrer Bemühungen
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