Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
das ohnehin, aber an diesem Tag war es lebenswichtig. Ich musste der Menge und der Presse entgehen und brauchte einen Moment für mich allein, um mich von der Vernehmung im Zeugenstand zu erholen.
Ein Experte im Arschtreten hatte mir gerade einen verdammt schmerzhaften Tritt versetzt. Morgen würde Catherine Fitzgibbon versuchen, einen Teil des Schadens, der heute im Gerichtssaal angerichtet worden war, im Kreuzverhör aus der Welt zu schaffen.
Ich hatte es nicht eilig, als ich die Hintertreppe hinunterstieg, die von der Putzkolonne und den Wartungsmonteuren benutzt wurde und als Notausgang diente.
Langsam dämmerte mir, dass Geoffrey Shafer gute Aussichten hatte, freigesprochen zu werden. Er hatte die besten Anwälte, und wir hatten wichtige Beweise bei der Beweisanhörung verloren.
Und ich hatte einen üblen Fehler am Tatort begangen, als ich in der Eile, Patsy Hampton zu helfen, die Handschuhe nicht angezogen hatte.
Es war ein dummer, ein im Grunde verzeihlicher Fehler, aber er rief bei den Geschworenen wahrscheinlich Zweifel hervor. Ich hatte mehr Blut an mir als Shafer. Das stimmte. Vielleicht ging Shafer als Mörder tatsächlich straffrei aus, und diesen Gedanken konnte ich nicht ertragen. Am liebsten hätte ich vor hilfloser Wut geschrien, als ich die gewundene Treppe hinunterstieg.
Und genau das tat ich dann auch. Ich brüllte, so laut ich konnte, und fühlte mich verdammt gut, die innere Spannung loszuwerden. Erleichterung durchströmte mich – ganz gleich, wie flüchtig dieses Gefühl sein mochte.
Am Ende der Betontreppe befand sich der Keller des Gerichtsgebäudes. Ich ging über einen langen dunklen Korridor zu dem Parkplatz, auf dem mein Porsche stand. Ich war immer noch in Gedanken verloren, aber innerlich ruhiger, nachdem ich auf der Treppe wie ein Irrer gebrüllt hatte.
Kurz vor dem Ausgang zum Parkplatz machte der Korridor eine scharfe Biegung. Ich bog um die Ecke – und sah ihn. Ich konnte es nicht fassen. Da stand das Wiesel.
Er sprach zuerst. »Was für eine Überraschung, Dr. Cross.
Sich einfach vor der tobenden Menge davonzuschleichen. Oder der Menge, die Sie zum Toben bringt. Heute mit eingekniffenem Schwanz? Keine Angst, Sie haben sich da oben gut gehalten. Was sollte das Gebrüll auf der Treppe? Eine Urschreitherapie?«
»Was wollen Sie, Shafer? Wir dürfen uns nicht treffen oder miteinander sprechen.«
Er zuckte mit den breiten Schultern und strich sich das blonde Haar aus der Stirn. »Glauben Sie, dass ich mich an Regeln halte? Ich schere mich einen Scheißdreck um Regeln. Was ich will? Ich möchte meinen guten Namen wiederherstellen. Ich will, dass meine Familie das alles nicht länger durchmachen muss. Das will ich.«
»Dann hätten Sie nicht alle diese Menschen töten sollen. Besonders nicht Patsy Hampton.«
Shafer lächelte. »Sie sind sehr selbstsicher, nicht wahr? Sie geben nicht nach. Das bewundere ich – allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Das Spiel, ein Held zu sein, habe ich selbst einmal gespielt. In der Armee. Eine Zeit lang ist es ja recht interessant, aber …«
»Aber es ist viel interessanter, ein durchgeknallter geisteskranker Killer zu sein«, sagte ich.
»Sehen Sie? Sie weichen einfach nicht von Ihrer sturen Meinung ab. Das gefällt mir. Sie sind wunderbar.«
»Das ist keine Meinung, Shafer. Das wissen Sie ebenso gut wie ich.«
»Dann beweisen Sie es, Cross. Gewinnen Sie Ihren erbärmlichen Prozess. Besiegen Sie mich vor Gericht. Auf faire Weise. Ich habe Ihnen sogar einen Heimvorteil gegeben.«
Ich ging auf ihn zu. Ich konnte nicht anders. Er blieb wie ein Fels stehen.
»Für Sie ist das alles ein verrücktes Spiel, Shafer. Ich bin Arschlöchern wie Ihnen schon begegnet. Ich habe schon bessere Männer als Sie geschlagen. Ich werde Sie zur Sau machen.«
Er lachte mir ins Gesicht. »Das bezweifle ich sehr.«
Ich ging einfach an ihm vorbei.
In diesem Moment schubste er mich von hinten. Er war ein großer Mann und stärker, als er aussah.
Ich stolperte und wäre beinahe auf den Betonboden gestürzt.
Diesen Wutausbruch hatte ich nicht von ihm erwartet. Vor Gericht beherrschte er sich großartig, aber die Wut loderte dicht unter der Oberfläche. Der Wahnsinn, der Geoffrey Shafer war.
Die Gewalt.
»Nur zu. Schlagen Sie mich. Mal sehen, ob Sie dazu in der Lage sind«, schrie er, so laut er konnte. »Schlagen Sie mich gleich hier. Ich glaube nicht, dass Sie das fertig bringen, Cross.
Ich weiß, dass Sie es nicht können.«
Shafer machte
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