Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
strategisch günstig in Stellung gegangen, um die enge schattige Straße zu observieren, die zum Ocho Rios führte. Wir saßen auf einem Wiesenhang zwischen dem Hotel und der schimmernden blauen Karibik. Andrew Jones und ein anderer Agent warteten unauffällig in einem zweiten Wagen am Hinterausgang des Hotels. Sechs von Jones’ Agenten hatten sich als Kofferträger und Reinigungskräfte im Hotel getarnt. Auch die Polizisten aus Jamaika hatten um das Hotel herum Stellung bezogen.
Von Shafer hatten wir nichts Neues gehört. Er hatte uns schließlich doch abgehängt. Aber wir glaubten, er würde sich mit den anderen treffen. Jones beschwerte sich, dass wir nicht genügend Leute seien, um Shafer aufzuhalten, falls dieser die Absicht habe, sich an den anderen zu rächen. Ich stimmte ihm zu. Wenn Shafer Kamikaze spielen wollte, gab es keinen ausreichenden Schutz.
Wir warteten und warteten. Ständig kamen die neuesten Meldungen über die Kurzwelle im Autoradio. Den ganzen Nachmittag hindurch hörten die Meldungen nicht auf. Sie waren eine Art elektronischer Herzschlag für unsere Observierung.
»Oliver Highshmith ist noch in seinem Zimmer. Offensichtlich will er nicht gestört werden …«
»Bayer hat sein Zimmer verlassen. Er schwimmt im tiefblauen Meer. Zielperson trägt Badehose mit roten Streifen. Schwer zu übersehen. Erleichtert die Arbeit. Aber tut den Augen weh …«
»Schwarzer Mercedes ist jetzt am vorderen Tor. Fahrer ist groß und blond. Könnte Geoffrey Shafer sein. Sehen Sie ihn, Alex?«
Ich meldete mich sofort. »Der blonde Mann ist nicht Shafer.
Ich wiederhole, er ist nicht Shafer. Zu jung, wahrscheinlich Amerikaner. Hat eine junge Frau und zwei Kinder dabei. Falscher Alarm. Das ist nicht Shafer.«
Die Radiomeldungen liefen weiter.
»Highsmith hat soeben beim Zimmerservice bestellt. Zweimal englisches Frühstück, mitten am Tag. Einer unserer Leute wird es ihm bringen …«
»Bayer ist vom Schwimmen zurück. Er ist ganz schön braun.
Ein kleiner Kerl, aber muskulös. Hat mehrere Damen anzubaggern versucht, sich aber die Zähne ausgebissen.«
Gegen sechs Uhr abends machte ich wieder Meldung. »James Whitehead ist gerade in einem grünen Range Rover vorgefahren. Er betritt das Hotel. Krieg ist hier.«
Nur noch ein Spieler fehlte.
Wir warteten.
Tod musste noch kommen.
S hafer hatte es nicht besonders eilig, die karierte Zielflagge zu schwenken. Er ließ sich Zeit, sämtliche Szenarien in Ruhe zu durchdenken. Schon Stunden zuvor hatte er die Küste Jamaikas am Horizont gesichtet. Er war zuerst nach Puerto Rico geflogen und dann mit einem gecharterten Boot weitergesegelt.
Er wollte in der Lage sein, Jamaika sowohl zur Luft als auch übers Meer zu verlassen.
Jetzt wartete er gelassen auf den Einbruch der Nacht und ließ sich mit dem Boot von den angenehm kühlenden Passatwinden treiben. Es war die berühmte »blaue Stunde« auf dem Meer, gleich nach Sonnenuntergang, außergewöhnlich idyllisch und schön, ein wenig unwirklich, ja magisch. Er hatte soeben auf dem Bootsdeck fünfhundert Liegestütze gemacht, war aber nicht außer Atemnot. Er sah ein halbes Dutzend großer Kreuzfahrtschiffe, die vor Ocho Rios ankerten. Um ihn herum waren jede Menge kleiner Boote wie das seine.
Er erinnerte sich, irgendwo gelesen zu haben, die Insel Jamaika sei früher einmal das persönliche Eigentum Christoph Columbus’ gewesen. Ihm gefiel die Vorstellung, dass es eine Zeit gegeben hatte, da ein Mann sich alles nehmen konnte, was er wollte. Shafers Körper war gestählt und von den drei Sonnentagen der Segeltour bronzebraun. Sein Haar war von der vielen Sonne noch blonder als sonst. Seit fast einer Woche hatte er die Medikamente unter Kontrolle. Es war ein enormer Willensakt gewesen, doch er hatte die Herausforderung gemeistert. Er wollte siegen.
Shafer fühlte sich wie ein Gott. Nein, er war ein Gott. Er kontrollierte jede Bewegung seines eigenen Lebens und der Leben mehrerer anderer. Es gibt immer noch Überraschungen, dachte er, als er seinen Körper bedächtig mit kühlendem Wasser bespritzte. Für alle, die noch mitspielen wollten, gab es Überraschungen.
In seinem Spiel.
Sein Plan.
Sein Schluss.
Weil es nicht bloß ein Spiel war – von Anfang an nicht. Das mussten die anderen Spieler inzwischen gemerkt haben. Sie wussten, was er getan hatte und weshalb es eine Rache geben musste, oder besser: ein Heimzahlen. Nur darum war es bei den Vier Reitern von Anfang an gegangen.
Das Endspiel ist ein
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