Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
der über die Massachusetts Avenue strömte. Schließlich griff er zum Telefon. Er konnte keine Minute länger warten. »Ich bin so weit. Schicken Sie Sarah herein.«
Er befingerte die Würfel. Ja, das könnte ein Heidenspaß werden. Terror im Büro.
D ie gut aussehende Sarah Middleton betrat Shafers Büro und rang sich einen freundlichen Blick, ja beinahe ein Lächeln ab. Er fühlte sich wie eine Königsschlange vor einer Maus.
Sarah hatte rötliche Naturlocken, ein recht hübsches Gesicht und eine tolle Figur. Heute trug sie ein sehr kurzes Kostüm, eine blaue Seidenbluse mit V-Ausschnitt und schwarze Strümpfe. Für Shafer war es offensichtlich, dass sie darauf aus war, sich in Washington einen Ehemann zu angeln.
Sein Puls klopfte kräftig. Sie erregte ihn, wie immer. Er stellte sich vor, sie zu nehmen. Sie nehmen . Dieser Ausdruck gefiel ihm ungemein. Sie wirkte nicht so nervös und unsicher wie beim letzten Mal, was wohl bedeutete, dass sie eine Heidenangst hatte und sich bemühte, es nicht zu zeigen. Shafer versuchte nach Kräften, wie Sarah Middleton zu denken. Das brachte ihm noch mehr Spaß, obwohl er es als eine echte Herausforderung betrachtete, so zappelig und unsicher zu sein, wie Sarah es unter Garantie war.
»Wir haben den Regen wirklich gebraucht«, sagte Sarah und sank in sich zusammen, noch ehe sie den Satz beendet hatte.
»Bitte, Sarah, setzen Sie sich.« Shafer bemühte sich, eine rein geschäftsmäßige Miene zu wahren. »Ich persönlich hasse den Regen. Das ist einer der Gründe, warum ich nie in London stationiert war.«
Hinter dem festen Zelt, das er mit den Fingern auf der Schreibtischplatte errichtet hatte, seufzte er theatralisch. Er fragte sich, ob Sarah die Länge seiner Finger bemerkte und ob sie je darüber nachdachte, wie groß er an anderen Stellen war.
O ja, sie stellte sich diese Frage. Jede Wette. So funktionierte nun mal der menschliche Verstand, obwohl Frauen wie Sarah das niemals zugeben würden.
Sie räusperte sich und legte die Hände auf die Knie. Ihre Fingerknöchel waren weiß. Herrgott, genoss er ihr offensichtliches Unbehagen. Sie sah aus, als würde sie jederzeit aus der Haut fahren. Wie wär’s, Sarah, wenn du mit deinem engen Rock und der Bluse anfangen würdest?
Shafer reckte die Finger der rechten Hand und spielte seine Rolle als absoluter Herr der Lage voll aus. »Sarah, ich glaube, ich habe schlechte Nachrichten. Leider. Aber es geht nicht anders.«
Nervös saß sie auf der vorderen Stuhlkante. Oben herum war sie wirklich gut gebaut. Jetzt bekam er einen Steifen. »Worum geht es, Mr. Shafer? Was meinen Sie? Sie glauben , Sie hätten schlechte Nachrichten? Haben Sie nun welche oder nicht?«
»Wir müssen Sie entlassen. Ich muss Sie entlassen. Budget-Einsparungen, fürchte ich«, sagte er. »Ich weiß, Sie halten das bestimmt für sehr ungerecht, und es kommt gewiss sehr unerwartet für Sie. Vor allem, nachdem Sie um die halbe Welt aus Australien hierher gekommen sind, um diese Stelle anzutreten und weniger als sechs Monate in Washington wohnen. Tja, die Axt fällt unvermittelt, wie man so sagt.«
Er sah deutlich, wie sie gegen die Tränen kämpfte. Ihre Lippen bebten. Offensichtlich hatte sie nie im Leben mit so etwas gerechnet. Sie war nicht im Geringsten darauf vorbereitet gewesen. Sarah war eine ziemlich kluge und beherrschte Frau, aber jetzt verlor sie die Fassung.
Wundervoll. Er hatte es geschafft, sie zu zerbrechen. Shafer wünschte, er hätte in dieser Minute eine Kamera gehabt, um den Ausdruck auf ihrem Gesicht festzuhalten und den Film im stillen Kämmerlein abzuspielen, wieder und wieder.
Er sah genau den Sekundenbruchteil, als die Dämme brachen, und das war unbeschreiblich schön für ihn. Er sah, wie ihre Augen feucht wurden, sah, wie große Tränen über ihre Wangen rollten und Streifen in ihrem gepflegten Make-up hinterließen.
Er spürte die Macht – und es war so köstlich, wie er es sich erhofft hatte. Ein kleines belangloses Spiel, gewiss, aber es bereitete ihm unglaublich viel Vergnügen. Er liebte es, in einer Position zu sein, andere Menschen einzuschüchtern und so viel Schmerzen zu verursachen.
»Arme Sarah. Armes, armes Ding«, murmelte er.
Dann tat Shafer das Grausamste, Unverzeihlichste – aber auch das Abscheulichste und Gefährlichste. Er stand vom Schreibtisch auf und ging zu ihr, um sie scheinbar zu trösten.
Er stellte sich hinter sie und presste sich gegen ihre Schultern.
Er war sich bewusst, dass sie es
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