Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
Vater nicht zu Hause vorfanden. Am nächsten Morgen stand ich um acht Uhr auf und ging die Treppe hinunter, folgte dem verlockenden Duft von frischem Kaffee und Nanas weltberühmten Zuckerschnecken.
Die schrecklichen zwei waren gerade dabei, sich auf den Weg zur Schule zu machen, wo sie vor dem eigentlichen Schulanfang am Förderunterricht für Begabte teilnahmen. Sie sahen wie zwei strahlende Engel aus. So wohl wie jetzt fühlte ich mich nicht oft, deshalb beschloss ich, es voll und ganz auszukosten.
»Wie war deine Verabredung gestern, Daddy?«, fragte Jannie und machte riesengroße neugierige Augen.
»Wer sagt denn, dass ich eine wichtige Verabredung hatte?«
Ich machte ihr auf meinem Knie Platz. Sie aß ein Stück von der weichen klebrigen Zuckerschnecke, die Nana mir auf den Teller gelegt hatte.
»Sagen wir einfach, ein Vögelchen hat es mir ins Ohr gezwitschert«, antwortete sie.
»Aha. Das Vögelchen backt wunderbare Schnecken«, sagte ich. »Meine Verabredung lief ziemlich gut. Und wie war deine? Du hattest doch auch eine, stimmt’s? Du hast doch nicht allein zu Hause gesessen?«
»Deine Verabredung war ziemlich gut? Du bist mit dem Milchmann nach Hause gekommen.« Jannie lachte laut. Auch Damon kicherte. Jannie kann uns alle zum Lachen bringen, wenn sie will, schon seit sie ein Baby gewesen war.
»Jannie Cross«, sagte Nana, schwieg dann aber. An diesem Punkt war es sinnlos zu versuchen, Jannie dazu zu bringen, sich wie eine typische Siebenjährige zu benehmen. Sie war zu gescheit, zu freimütig, zu sehr voller Leben und Freude. Außerdem haben wir eine Familien-Philosophie: Wer lacht, lebt länger.
»Wieso lebt ihr zwei eigentlich nicht auf Probe zusammen?«, fragte Jannie. »Das machen die im Film und im Fernsehen doch alle so.«
Unwillkürlich musste ich grinsen, obgleich ich mich um eine finstere Miene bemühte. »Mich bringst du nicht dazu, so dummes Zeug zu tun wie die Leute im Film oder Fernsehen, kleines Mädchen. So was nimmt immer ein böses Ende. Christine und ich werden bald heiraten. Dann werden wir alle zusammen leben.«
»Warum guckt ihr alle so überrascht? Wer könnte widerstehen, Teil dieser Familie zu werden?«
»Hurra!«, jubelte Jannie laut. Ich konnte erkennen, dass es aus der Tiefe ihres kleinen Herzens kam.
»Hurra!«, rief auch Nana. »Gott sei Dank.«
»Wird auch Zeit, dass wir ein normaleres Leben bekommen«, meinte Damon.
Alle beglückwünschten mich mehrere Minuten lang, bis Jannie schließlich sagte: »Jetzt muss ich aber zur Schule , Pa. Ich möchte doch Mrs. Johnson nicht enttäuschen und heute zu spät kommen. Hier ist deine Zeitung.«
Sie reichte mir die »Washington Post«, und mein Herz hüpfte ein wenig in der Brust. Heute war wirklich ein guter Tag. Ich sah Zachary Taylors Artikel rechts unten auf der Titelseite.
Nicht die flammende Schlagzeile, die die Story verdient hätte, aber er hatte sie immerhin auf Seite eins gebracht.
Skandal wegen ungelöster Morde im Southeast -Rassistische Vorurteile bei der Polizei
»In der Tat ein Skandal ohne Fragezeichen«, sagte Nana und strich sich übers Kinn. »Wie jeder Völkermord, nicht wahr?«
I ch betrat das Polizeirevier gegen acht Uhr, und sofort kam Chief Pittmans Lakai zu mir geflitzt. Der alte Fred Cook war früher ein schlechter Detective gewesen; jetzt war er ein ebenso schlechter und noch dazu hinterhältiger Verwaltungshengst.
Im gesamten Dezernat oder irgendwo sonst in Washington fand man keinen aalglatteren Arschkriecher.
»Der Chief möchte Sie sofort in seinem Büro sehen. Es ist wichtig«, teilte Fred mir mit. »Legen Sie lieber einen Schritt zu.«
Ich nickte und bemühte mich, meine gute Stimmung zu bewahren. »Selbstverständlich ist es wichtig. Der Chief ist schließlich unser Häuptling. Haben Sie irgendwelche nützlichen Tipps für mich, Fred? Sie wissen doch bestimmt, worum es geht und womit ich rechnen muss?«
»Es ist eine große Sache«, sagte Cook, was mir überhaupt nicht weiterhalf – und das freute ihn, den Hurensohn. »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, Alex.«
Er ging davon und ließ mich hängen. Ich spürte, wie mir die Galle hochkam. Meine gute Laune hatte mich bereits verlassen.
Ich ging über die knarzenden Holzfußböden des Flurs zum Büro des Häuptlings. Ich hatte keine Ahnung, was ich zu erwarten hatte, aber auf das, was ich dann vorfand, war ich in keinster Weise vorbereitet.
Augenblicklich fiel mir ein, was Damon heute Morgen gesagt hatte: Es wird Zeit, dass wir
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