Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
ihr in die Augen zu schauen, wollte es auch nicht.
»Tiefschürfende Gedanken?«, fragte sie schließlich.
»Ich habe viel darüber nachgedacht, wieder eine Privatpraxis zu eröffnen«, antwortete ich. »Ich glaube, das wäre das Beste.«
Sie schaute mir tief in die Augen. »Ich will nicht, dass du das meinetwegen tust, Alex. Bitte, gib nicht wegen mir den Polizeidienst auf. Ich weiß, dass du deinen Beruf liebst. Jedenfalls meistens.«
»In letzter Zeit hat die Arbeit mich ganz schön geschafft.
Pittman ist nicht nur ein schwieriger Chef, er ist auch ein Schurke. Was mit Sampson und den anderen passiert ist, war bloß ein Vorwand. Sie haben in ihrer Freizeit in ungelösten Fällen ermittelt. Am liebsten würde ich Zach Taylor von der -›Post‹ die Geschichte stecken. Aber die Leute würden einen Riesenaufstand machen, wenn sie die Wahrheit wüssten. Deshalb gehe ich nicht zur ›Post‹.«
Christine hörte zu und versuchte mir zu helfen, drang aber nicht in mich. Ich war ihr dankbar dafür. »Das klingt tatsächlich wie eine scheußliche, komplizierte und üble Geschichte, Alex. Ich würde Pittman auch gern zum Mond schießen. Er hat sich für die Politik entschieden, statt Menschen zu schützen.
Ich bin sicher, du tust das Richtige, wenn die Zeit dafür reif ist.«
Am nächsten Morgen sah ich sie im Garten spazieren gehen, mit tropischen Blumen im Haar. Sie sah hinreißend aus, noch mehr als sonst, und ich verliebte mich aufs Neue unsterblich in sie.
»Es gibt eine alte Redensart, die ich schon als kleines Mädchen gehört habe«, sagte sie, als ich zu ihr trat. »Wenn du nur zwei Penny hast, kauf einen Laib Brot von dem einen und eine Lilie von dem anderen.«
Ich küsste ihr Haar zwischen den Blumen. Ich küsste ihre süßen Lippen, ihre Wangen und die Mulde an der Kehle.
Am frühen Nachmittag gingen die Kinder und ich zurück zum Strand in der Horseshoe Bay. Sie konnten gar nicht genug bekommen vom tiefblauen Meer, vom Schwimmen und Schnorcheln und Sandburgenbauen. Da die Schule bald wieder anfing, war unser Urlaub natürlich etwas ganz Besonderes, ein intensives Erlebnis.
Christine fuhr mit dem Moped nach Hamilton, um für die Lehrer der Sojourner Truth ein paar Souvenirs einzukaufen.
Wir winkten ihr nach, bis sie auf der Middle Road außer Sicht war. Dann wieder in die Fluten!
Gegen fünf Uhr gingen Damon, Jannie und ich zurück ins Belmont Hotel, das wie ein Wächter inmitten üppig grüner Hügel aufragt, eingerahmt von azurblauem Himmel. Wohin wir auch schauten, standen pastellfarbene Häuschen mit weißen Dächern. Nana saß auf der Veranda und unterhielt sich mit neuen besten Freunden. Das wiedergewonnene Paradies, dachte ich und spürte, wie irgendetwas Tiefes und Heiliges zurück in mein Inneres kam.
Während ich zum wolkenlosen blauen Himmel blickte, bedauerte ich, dass Christine nicht bei mir war, um das Erlebnis zu teilen. Tatsächlich, nach so kurzer Zeit vermisste ich sie bereits. Ich umarmte Damon und Jannie, und wir lächelten alle über das Offensichtliche: Wir genossen es, gemeinsam hier zu sein, und wir hatten unverschämtes Glück, dass wir einander hatten.
»Du vermisst sie«, flüsterte Jannie. Es war eine Feststellung, keine Frage. »Das ist gut, Daddy. So sollte es sein, nicht wahr?«
Als Christine um sechs Uhr immer noch nicht zurückgekommen war, kämpfte ich mit gemischten Gefühlen: Sollte ich im Hotel auf sie warten oder selbst nach Hamilton fahren?
Vielleicht hatte sie einen Unfall. Diese verdammten Mopeds, dachte ich, obwohl ich die Dinger am gestrigen Nachmittag noch für sicher gehalten hatte, für ein harmloses Fahrvergnügen.
Eine schlanke große Frau kam durch das vordere Tor zum Belmont und schritt vor dem Hintergrund von Hibiskus und Oleander dahin. Ich seufzte erleichtert, doch als ich die Vordertreppe hinuntergehen wollte, sah ich, dass es nicht Christine war.
Um halb sieben war Christine immer noch nicht zurück, hatte auch im Hotel nicht angerufen. Auch nicht um sieben Uhr.
Ich rief bei der Polizei an.
I nspektor Patrick Busby von der Polizeidienststelle Hamilton traf um halb acht abends im Belmont Hotel ein. Er war ein kleiner Mann mit beginnender Glatze, der aus der Entfernung wie Ende fünfzig, Anfang sechzig aussah. Doch als er sich der Veranda näherte, sah ich, dass er höchstens vierzig Jahre war, ungefähr so alt wie ich.
Er hörte sich meine Geschichte an und meinte, dass Touristen auf Bermuda oft das Zeitgefühl verloren. Gelegentlich
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