Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
mir ganz und gar nicht, was ich im Fernsehen sah und hörte.
Auf dem Bildschirm erschien gerade ein Reporter aus London. Er stellte sich vor und gab dann eine aufgeblasene, dreißig Sekunden lange Zusammenfassung der Ereignisse des Vorabends.
Der Reporter blickte mit ernstem Gesicht in die Kamera.
»Soeben haben wir von einer dramatischen, ja bizarren Wendung erfahren, wonach die Washingtoner Polizei gegen den Detective ermittelt, der Geoffrey Shafer festgenommen hat.
Möglicherweise ist dieser Detective Verdächtiger in dem Mordfall. Zumindest wurde dies in der amerikanischen Presse gemeldet.«
Ich schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Ich bin unschuldig«, erklärte ich Nana und den Kindern. Das wussten sie natürlich.
»Bis die Schuld bewiesen ist«, sagte Jannie und zwinkerte mir zu.
V or dem Haus herrschte Tumult, und Jannie lief zum Wohnzimmerfenster und schaute hinaus. Mit großen Augen rannte sie zurück in die Küche und sagte halb flüsternd: »Da draußen sind Fernsehkameras und Zeitungsleute. CNN, NBC -und was weiß ich. Wie damals bei Gary Soneji, erinnert ihr euch?«
»Na klar erinnern wir uns«, sagte Damon. »In diesem Haus ist außer dir keiner geistig zurückgeblieben.«
»Grundgütiger Gott, Alex«, sagte Nana. »Wissen die Leute denn nicht, dass anständige Menschen jetzt frühstücken?« Sie schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. »Die Geier sind wieder da. Vielleicht sollte ich Fleischabfälle vor die Tür werfen.«
» Du gehst raus und redest mit ihnen«, sagte ich zu Jannie und schaute wieder auf den Fernseher. Ich weiß nicht, warum mir so zynisch zumute war, aber so war es. Meine Bemerkung stellte sie fast eine halbe Sekunde lang ruhig, dann kapierte sie, dass es ein Scherz gewesen war. Sie zeigte mit dem Finger auf sich. »Kapiert!«
Mir war klar, dass die Meute nicht verschwinden würde, deshalb nahm ich meine Kaffeetasse, ging zur Vordertür und trat in den wunderschönen Herbsttag hinaus. Es war wohl um die zwanzig Grad warm.
Die Blätter rauschten fröhlich in den Ulmen und Ahornbäumen; Flecken aus Sonnenschein fielen auf die Köpfe der Fernsehteams und Vertreter der Printmedien, die sich am Rand unseres Rasens versammelt hatten.
Die Geier.
»Das ist doch verrückt. Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte ich und trank gelassen einen Schluck Kaffee, während ich die Pressemeute betrachtete. »Selbstverständlich habe ich Detective Patsy Hampton nicht ermordet oder jemandem den Mord an ihr in die Schuhe geschoben.«
Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und ging zurück ins Haus, ohne eine einzige Frage zu beantworten.
Nana und die Kinder standen gleich hinter der großen Holztür. Sie hatten gelauscht. »Das war ziemlich gut«, meinte Nana mit strahlenden Augen.
Ich ging nach oben und zog mich an. »Geht jetzt in die Schule«, rief ich zu Jannie und Damon nach unten. »Und bringt nur Einsen mit nach Hause! Spielt schön mit euren Freunden.
Kümmert euch nicht um den Irrsinn um euch herum.«
»Jawohl, Daddy.«
A ufgrund seines Ersuchens um diplomatische Immunität war es uns nicht erlaubt, Geoffrey Shafer wegen des Mordes an Patsy Hampton oder irgendetwas anderem zu verhören. Ich war unglaublich wütend. Wir hatten das Wiesel, kamen aber nicht an den Mistkerl heran.
Auf dem Revier warteten an diesem Morgen bereits verschiedene Leute auf mich, und mir war klar, dass es ein langer und qualvoller Vormittag werden würde. Der Beauftragte für Interne Angelegenheiten befragte mich, dann der Anwalt des Stadtrats und Mike Kersee von der Bezirksstaatsanwaltschaft.
Kümmert euch nicht um den Irrsinn um euch herum. Das rief ich mir immer wieder ins Gedächtnis zurück, aber mein guter Rat half nicht viel.
Gegen drei Uhr tauchte plötzlich der Bezirksstaatsanwalt auf. Ron Coleman ist ein schlanker, sportlich aussehender Mann. Wir hatten bereits oft zusammengearbeitet, schon als er bei der Staatsanwaltschaft Karriere machte. Er war immer gewissenhaft, gut informiert, sehr sachlich und unvoreingenommen gewesen. Nie hatte es so ausgesehen, als wäre er besonders an Politik interessiert, deshalb war es für beinahe alle ein Schock gewesen, als Bürgermeister Monroe ihn zum Staatsanwalt ernannte. Doch Monroe liebt es, die Menschen zu schokkieren.
»Mr. Shafer hat bereits einen Anwalt, einer der strahlendsten Sterne in unserer Galaxis«, sagte Coleman. »Er hat keinen Geringeren als Jules Halpern verpflichtet. Halpern ist wahrscheinlich der Mann, der die
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