Alex Cross 07 - Stunde der Rache
und sehe nach, ob ich eine Mutter für meine Kinder finde. Übrigens arbeite ich mit einer sehr netten Kollegin zusammen. Sie würde dir gefallen.«
»Damon ist nicht da. Er hat gesagt, wenn du anrufst und sagst, dass du nicht rechtzeitig nach Hause kommen kannst, soll ich dir ganz herzlich danken .«
Ich schüttelte den Kopf, sagte aber dann. »Du kannst ihn perfekt nachmachen. Wo steckt er?«
»Er spielt mit seinen Freunden Basketball. Darin ist er sehr gut. Ich glaube, er ist ein hervorragender Abwehrspieler. Ist dir das je aufgefallen?«
»Er hat weiche Hände und einen schnellen Antritt. Selbstverständlich habe ich das bemerkt. Weißt du, mit welchen Freunden er unterwegs ist?«
»Selbstverständlich weiß ich das. Du auch?«, schoss Nana zurück. Wenn sie eine Attacke ritt, war sie gnadenlos. »Er ist mit Louis und Jamal zusammen. Er wählt gute Freunde.« »Ich muss jetzt weg, Nana. Bitte sag Damon und Jannie, dass ich sie liebe, und nimm Klein-Alex ganz fest in die Arme.« »Alex, das ist deine Sache. Nimm du sie in die Arme und sage ihnen, dass du sie liebst«, sagte sie und legte auf. Das hatte sie noch nie getan, na ja, jedenfalls nicht oft.
Ich saß wie fest genagelt auf meinem Stuhl und dachte über das nach, was wir soeben gesagt hatten, und fragte mich, ob ich gemäß der Anklage schuldig oder nicht schuldig war. Ich war mir bewusst, dass ich mit den Kindern mehr Zeit als viele andere Väter verbrachte, aber geschickt hatte Nana vorgetragen, dass sie schnell älter wurden – und das ohne Mutter. Ich musste mir noch mehr Mühe geben, da gab es keine Entschuldigungen. Ich rief noch ein paarmal zu Hause an. Keine Antwort. Mir war klar, dass ich bestraft wurde. Schließlich erwischte ich Damon abends um sechs Uhr. Er war gerade von der Generalprobe für das Konzert seines Knabenchors zurückgekommen. Als ich seine Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, sang ich ein paar Zeilen eines Tupac-Raps, den er mag.
Er fand das lustig und lachte. Da wusste ich, dass alles in Ordnung war. Er hatte mir verziehen. Er ist ein guter Junge, der beste, den ich mir wünschen kann. Plötzlich erinnerte ich mich an meine Frau Maria und war traurig, dass sie nicht mehr bei uns war und sehen konnte, wie prächtig sich Damon entwickelte. Du würdest Damon wirklich mögen, Maria. Es tut mir Leid, dass du das verpasst.
»Ich habe deine Nachricht erhalten, und es tut mir ehrlich Leid, Damon. Ich wünschte, ich könnte dich morgen hören. Das weißt du. Aber da kann man nichts machen, Kumpel.« Damon seufzte dramatisch. »Wenn Wünsche Flügel hatten«, sagte er. Das war einer der Lieblingssprüche seiner Großmutter. Ich hörte das schon seit ewigen Zeiten, seit ich in Damons Alter gewesen war. »Schlag mich, beiß mich, würg mich«, sagte ich.
»Schon gut, Daddy«, sagte Damon und seufzte erneut. »Ich weiß, dass du arbeiten musst, und wahrscheinlich ist es auch wichtiges Zeug. Aber manchmal ist es für uns schon schlimm, das weißt du.«
»Ich hab dich lieb und sollte bei dir sein. Das nächste Konzert verpasse ich bestimmt nicht«, beteuerte ich.
»Darauf nagle ich dich fest«, sagte Damon. »Ich nagle mich selbst darauf fest«, erklärte ich.
24
G egen halb acht Uhr abends war ich immer noch in dem Polizeirevier in Brentwood. Ich war hundemüde, als ich von dem dicken Papierstapel aufblickte. Polizeiberichte über sadistische Morde, die sich in neun Städten an der Westküste ereignet hatten, plus dem in Washington, D.C. Der Fall jagte mir höllische Angst ein, und bestimmt nicht, weil ich an Vampire glaubte. Hingegen glaubte ich an die abartigen und grauenvollen Dinge, die Menschen einander antaten: tiefe Bisse, sadistisches Aufhängen, Blut aus Körpern saugen, Tigerangriffe. Diesmal hatte ich keinerlei Vorstellung, wie die Mörder aussehen könnten. Ich vermochte kein Profil zu erstellen. Auch die Verhaltensforschungsabteilung des FBI war dazu nicht in der Lage. Das hatte Kyle Craig mir gestanden. Das war einer der Gründe, weshalb er selbst hier war. Auch Kyle stand vor einem Rätsel. Für diese Mordserie gab es keine Präzedenzfälle. Kurz vor acht erschien Jamilla vor meinem Schreibtisch. Sie hatte in einem anderen Büro, weiter unten am Gang, gearbeitet. Jetzt, heute Abend, wirkte ihr hübsches Gesicht müde. So ist Polizeiarbeit nun einmal: Bei schlimmen Fällen fließt das Adrenalin. Dabei verstärken sich sämtliche Gefühle. Menschen fühlen sich plötzlich zueinander hingezogen, was zu
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