Alex Cross 07 - Stunde der Rache
stehen. Jemand schlich umher. Ich holte meine Glock aus dem Schulterholster. Ich lauschte angestrengt. Wieder Scharren.
Mäuse oder Ratten, dachte ich. Wahrscheinlich ist das alles. Ja, ich war fast sicher.
Aber ich musste weitergehen und nachschauen. Das war genau mein Problem, richtig? Ich musste weitergehen, ich konnte nicht einfach weggehen. Was wollte ich mir beweisen? Dass ich keine Angst hatte? Dass ich nicht wie mein Vater war, der sich vor fast allem im Leben gedrückt hatte, einschließlich seiner Kinder und sich selbst?
Langsam und leise schlich ich weiter – und lauschte.
Ich hörte irgendwo in den Tunneln Wasser tropfen.
Mit meinem alten Zippo entzündete ich einige Fackeln, die an den Tunnelwänden steckten. In meinem Kopf kreisten wirklich schlimme Bilder. Die Bisswunden an den Leichen, die ich gesehen hatte. Die Art, wie man Daniel und Charles ermordet hatte. Die giftigen Bisse, die ich in Charlotte abbekommen hatte. Jetzt bist du einer von uns.
Die Wut, die bei diesen bestialischen Morden eine so große
Rolle spielte, war in vielen Städten bezeugt.
Worüber waren die Mörder so wütend?
Wo waren sie jetzt?
Ich hörte sie nicht kommen, sah keine Bewegung.
Ein Schlag – zwei Schläge. Die Angreifer waren blitzschnell aus der Dunkelheit gekommen. Einer nahm sich meinen Kopf und meinen Nacken vor, der andere meine Knie. Sie waren ein Team. Äußerst effizient.
Ich ging zu Boden. Die Luft blieb mir weg. Aber ich war auf den Angreifer gefallen, der mein Knie umklammert hielt. Ich hörte ein Knacken. Vielleicht war ein Knochen gebrochen? Dann ein Schrei. Er ließ mich los.
Ich kam hoch, aber der zweite Meuchelmörder sprang mir auf den Rücken. Er biss mich! O Gott, nein!
Ich fluchte und drückte ihn gegen die Wand. Wer, zum Teufel, waren diese fanatischen Wahnsinnigen? Wer war der Blutegel, der an meinem Rücken hing?
Endlich ließ mich der Mistkerl los. Ich wirbelte herum und streifte ihn an der Schläfe mit meiner Pistole. Dann versetzte ich ihm einen kräftigen Kinnhaken. Er fiel wie ein Sack zu Boden.
Ich keuchte immer noch, war aber kampfbereit. Beide Angreifer bewegten sich nicht mehr. Ich hielt die Waffe auf sie gerichtet, während ich noch eine Fackel anzündete. Schon besser. Licht hilft immer.
Ich sah einen jungen Burschen und ein Mädchen, höchstens
sechzehn oder siebzehn. Ihre Augen waren wie dunkle Höhlen. Der Junge war über zwei Meter groß.
Er trug ein schmuddeliges weißes T-Shirt mit dem Aufdruck »Marlboro Racing First to Finish«, dazu ausgebeulte dreckige schwarze Jeans.
Das Mädchen war etwa ein Meter fünfzig groß, hatte breite Hüften und war überhaupt recht üppig. Ihr schwarzes Haar war fettig und hatte rote Strähnchen.
Ich betastete meinen Nacken und war überrascht, dass die Haut unverletzt war. An meiner Hand war kein Blut.
»Ich verhafte euch«, brüllte ich die beiden an. »Ihr gottverdammten Blutsauger.«
77
V ampire? Waren diese abartigen Irren tatsächlich Vampire? Mörder?
Sie hießen Anne Elo und John »Jack« Masterson und hatten bis vor sechs Monaten die katholische Highschool in Baton Rouge besucht. Dann waren sie von zu Hause weggelaufen. Sie waren beide siebzehn, Jugendliche.
Noch in der Nacht befragte ich die beiden Verdächtigen drei Stunden lang, am nächsten Vormittag nochmals vier Stunden. Elo und Masterson redeten weder mit mir noch mit sonst jemandem – kein Wort. Sie wollten nicht sagen, was sie in der Villa im Garden District gemacht und weshalb sie mich angegriffen hatten. Auch nicht, ob sie die scheußlichen Puppen in den Wandschrank der toten Zauberer gelegt hatten.
Die Jugendlichen, die in verschiedenen Verhörräumen im Polizeihauptquartier saßen, starrten nur über die leere Tischfläche. Ihre Eltern wurden benachrichtigt, und als sie kamen, redeten weder Elo noch Masterson mit ihnen. Schließlich schleuderte Elo ihrem Vater zwei Worte entgegen: »Leck mich!« Ich fragte mich, ob der Kult der Vampire ihre Bedürfnisse befriedigt und ihre unvorstellbare Wut gestillt hatte.
Inzwischen mussten die vielen anderen Besucher der Fetischparty befragt werden. Die meisten erklärten übereinstimmend, dass sie in New Orleans »ordentliche Jobs« hätten. Sie waren Bartender, Kellnerinnen, Hotelportiers, Computeranalytiker, Schauspieler, sogar Lehrer. Die meisten hatten Angst, dass ihr alternativer Lebensstil am Arbeitsplatz bekannt würde, deshalb redeten sie letztendlich mit uns. Leider konnte uns jedoch niemand etwas
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