Alex Cross 07 - Stunde der Rache
alle Menschen.
Mein Verfolgungswahn wurde schlimmer. Ich ging sogar ein Mal den Mittelgang auf und ab, um die anderen Passagiere zu überprüfen. Keiner sah auch nur annähernd bekannt aus. Kein Superhirn an Bord. Auch schien keiner Fänge zu tragen. Langsam fühlte ich mich besser.
Am San Francisco International Airport holten mich FBIAgenten ab. Sie teilten mir mit, dass Kyle aus New Orleans herkommen wollte. In letzter Zeit hatte Kyle noch mehr Druck als früher ausgeübt, dass ich zum FBI wechselte. Finanziell war dieser Wechsel vernünftig. Agenten verdienten viel mehr als Detectives. Auch war die Arbeitszeit für gewöhnlich geregelter und besser. Vielleicht redete ich mit Nana und den Kindern darüber – wenn dieser Fall abgeschlossen war. Hoffentlich bald – aber woher schöpfte ich diese Hoffnung?
Ich verließ den Flughafen mit den drei Agenten in einem blauen Geländewagen. Ich saß mit dem ranghöchsten Beamten hinten. Er hieß Robert Hatfield und brachte mich aufs Laufende. »Wir haben herausgefunden, wo sich einige dieser so genannten Vampire aufhalten. Es ist eine Ranch in den Bergen nördlich von Santa Cruz, nicht weit vom Pazifik. Allerdings wissen wir zu diesem Zeitpunkt nicht, ob Inspector Hughes dort festgehalten wird. Von ihr gibt es keine Spur.«
»Was ist in diesen Bergen?«, fragte ich Hatfield. Er wirkte jugendlich und konnte fünfunddreißig, aber auch fünfzig sein, und er wirkte fit. Kurzer Bürstenhaarschnitt. Offenbar legte er viel Wert auf seine äußere Erscheinung.
»Verdammt wenig. Landwirtschaft. Mehrere ziemlich große Ranchen. Felsen, Wüste, Raubvögel, ein paar Bergkatzen.« »Keine Tiger?«, fragte ich.
»Komisch, dass Sie Tiger erwähnen. Eine Ranch da draußen diente früher als Reservat für Wildtiere. Bären, Wölfe, Tiger, sogar ein oder zwei Elefanten. Die Besitzer haben die Tiere trainiert und damit beim Film und in der Werbung Geld verdient. Im Prinzip waren sie Hippies, die aus den sechziger Jahren übrig geblieben waren. Das Innenministerium hatte der Ranch sogar ganz legal eine Lizenz erteilt. Sie haben mit Tippi Hedren, Siegfried und Roy Geschäfte gemacht.« »Sind die Tiere immer noch auf dem Gelände?«
»Seit vier oder fünf Jahren nicht mehr. Die ursprünglichen Besitzer sind verschwunden. Keiner hatte Interesse, das Land zu kaufen. Es sind an die fünfzig Morgen, aber kaum nutzbar. Sie werden es ja selbst sehen.«
»Was ist mit den Tieren, die früher dort waren? Wissen Sie, was mit denen geschehen ist?«
»Einige wurden an andere Firmen verkauft, die sich auf Tiernummern im Film spezialisiert haben. Angeblich hat Brigitte Bardot welche genommen. Und der Zoo in San Diego.« Ich lehnte mich zurück und dachte über alles nach. Ich wollte mir nicht schon wieder unbegründete Hoffnungen machen. Hatten die ehemaligen Besitzer der Ranch vielleicht einen Tiger zurückgelassen. Sofort entwickelte ich ein wildes Szenario im Kopf. Eigentlich war es interessant. In Afrika und Asien verwandelten sich Vampire in Tiger, nicht in Fledermäuse. Die Tigergestalt war mit Sicherheit viel Angst einflößender als eine Fledermaus und passte besser zu den übel zugerichteten Leichen, die ich gesehen hatte. Ferner hatte Santa Cruz einen Ruf als Vampir-Hauptstadt zu verteidigen.
Auf dem Highway kamen wir an einer Farm vorbei, dann an einem kleinen Weingut. Alles nicht auffällig. Agent Hatfield erzählte mir, dass diese Hügel und Berge im Sommer golden und braun würden, ähnlich wie die Veldt in Afrika.
Ich hatte mich bemüht, nicht an Jamilla und die Gefahr zu denken, in der sie sich höchstwahrscheinlich befand. Warum war sie allein hier heraufgefahren? Was hatte sie dazu getrieben? Dasselbe, was auch mich trieb? Wenn sie tot war, würde ich mir das niemals verzeihen.
Dann bog der Wagen von der Hauptstraße ab. In keiner Richtung konnte ich ein Haus oder ein anderes Gebäude entdecken. Nur kahle Hänge. Ein Falke kreiste anmutig am blauen Himmel. Alles war still, heiter und wunderschön. Wir fuhren ungefähr eine Meile auf einem holprigen Feldweg durch felsiges Terrain weiter. Über das Gitter einer Viehsperre, vorbei an einem zerbrochenen Bretterzaun. Nach knapp hundert Metern hielten wir an, fuhren dann aber langsam weiter.
Plötzlich sahen wir sechs Fahrzeuge, die am Zaun parkten. Alle ohne Nummernschilder, hauptsächlich Jeeps.
Dort stand Kyle Craig. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und lächelte, als wollte er mir ein unerhörtes Geheimnis
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