Alex Cross 07 - Stunde der Rache
auszuschalten. Ich fieberte direkt danach.
94
I ch fuhr vom Flughafen zu Jamillas Wohnung, mit etlichen Meilen über der Geschwindigkeitsbegrenzung. Unterwegs benutzte ich mein Handy. Immer noch keine Reaktion bei ihr. Kalter Schweiß bedeckte meine Stirn. Noch nie war ich einer so starken Vorahnung gefolgt.
Ich überlegte mir die nächsten Schritte. Eine Möglichkeit war, die Polizei von San Francisco zu Hilfe zu holen, aber das gefiel mir nicht. Polizisten sind logisch denkende Wesen und extrem misstrauisch gegen Gefühle aus dem Bauch. Meine beruflichen Erfolge mit Psychopathen konnten mir vielleicht in Washington Glaubwürdigkeit verschaffen, nicht aber hier in Kalifornien.
Ich konnte das FBI anrufen – aber ich entschied mich dagegen, und dafür gab es etliche Gründe. Wieder sagte mir ein Gefühl im Bauch, dass ich die Sache noch eine Zeit lang für mich behalten sollte.
Ich fuhr die steile Straße zum Potrero Hill hinauf. Dort machte ich kehrt und fuhr langsam ein gutes Stück südlich ihrer Wohnung durch sämtliche Verbindungsstraßen. Die Reihenhäuser hier hatten unterschiedliche Baustile: ganz aus Holz aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts und eher quadratische mit drei oder vier Stockwerken und viel Aluminium. Ich sah die Bucht, die Docks bei Pier 84 und in der Ferne Oakland. Ich kam an New Portrero Market, J.J., Mac's und dem North Star Restaurant vorbei – Jamillas Heimspielrasen. Aber wo war Jamilla?
Der Verkehr war dicht. Ich hoffte, mein Mietwagen würde nicht zu sehr auffallen und dass ich Jamilla beim Schleppen von Einkaufstüten oder beim Joggen entdecken würde. Aber ich sah sie nirgends. Verdammt, wo steckte sie? Selbstverständlich hatte sie das Recht auf einen freien Tag.
Ich konnte mir nicht vorstellen, was ihr passiert sein könnte,
aber so war es mir bei Patsy Hampton und später bei Betsey
Cavalierre auch ergangen.
Zwei tote Kolleginnen in zwei Jahren.
Ich glaubte nicht an Zufälle.
Patsy Hampton war von einem britischen Diplomaten namens Geoffrey Shafer ermordet worden. Da war ich relativ sicher. Aber der Mord an Betsey war ungelöst geblieben, und das machte mir Angst. Immer wieder musste ich an Superhirn denken. Irgendwie war ich Teil seiner Geschichte geworden, seiner Fantasiewelt. Wie? Warum? Im Sommer hatte ich von ihm spät in der Nacht einen Telefonanruf erhalten. »Betsey Cavalierre ist tot … ich bin der, den Sie Superhirn nennen. Mit diesem Namen kann ich leben. Ich bin nämlich tatsächlich so gut.«
Der Mörder hatte ein Messer benutzt, überall tiefe Schnitte, sogar zwischen Betseys Beinen. Er hasste Frauen. Das war klar. Ich war nur einem Mörder begegnet, der Frauen so sehr hasste: Casanova in North Carolina. Aber ich war sicher, dass Casanova tot war und Betsey Cavalierre nicht hatte töten können. Und dennoch … ich fühlte, dass es eine seltsame Verbindung zu Casanova und dem Mord in North Carolina gab. Welche Verbindung?
Ich fand eine Parklücke zwei Blocks von Jamilla Hughes' Wohnung entfernt in der Nähe der Eighteenth Street. Sie wohnte in einem älteren viktorianischen Haus mit dem in San Francisco üblichen Erker mit drei Fenstern, das renoviert und gelb gestrichen worden war. Sehr, sehr hübsch. Gemütlich. An den Bäumen hingen nette kleine Schilder: »Freunde des urbanen Waldes«.
Wieder rief ich sie mit dem Handy an. Wieder nichts.
Mein Herz schlug schnell, auch der kalte Schweiß stand noch auf meiner Stirn. Ich musste etwas unternehmen. Ich ging zur Vordertür des Hauses und klingelte, aber niemand meldete sich. Verdammt! Wo steckte sie?
»Sichere Nachbarschaft«-Schilder steckten in den grünen Grasflächen entlang der Straße. Ich hoffte, diese Straße möge tatsächlich sicher sein. Ich betete zu Gott, dass dem so sei. Dann ging ich zurück zum Auto und wartete. Ich war nervös. Und wurde ständig nervöser und ungeduldiger. Ich überlegte, wer wohl Superhirn sein könnte. Und dann dachte ich wieder an den Mord an Betsey. Ich dachte an Casanova und Kate McTiernan, die in North Carolina entführt worden war. Warum ging mir das ständig im Kopf herum? Was war die Verbindung? Ich vermochte nicht, diese widerlichen entsetzlichen Mordbilder zu verdrängen.
Nicht Jamilla. O Gott, lass es nicht noch mal geschehen. Bitte, mach, dass ihr nichts geschehen ist!
Plötzlich klingelte mein Handy. Ich meldete mich sofort.
Er war es und trieb sein grausames Spiel mit mir. Er schien ganz in der Nähe zu sein.
»Wo sind Sie, Dr. Cross? Ich
Weitere Kostenlose Bücher