Alex Cross 07 - Stunde der Rache
Verhaltensmuster.«
Wir überlegten, Verstärkung anzufordern, aber Jamilla meinte, das würde Kyle möglicherweise verscheuchen. Er wollte uns beide, richtig? Und das würde er bekommen. Willst du mich wieder verhöhnen, du Bastard? Los, nur zu, Kyle ! Es war beinahe gemütlich, so in der Dunkelheit dazusitzen. Jamilla griff nach meiner Hand. Dann rutschten wir näher zusammen und stützten uns gegenseitig. Wir warteten.
»Wenigstens ist die Observierung hier recht gemütlich«,
meinte Jamilla.
»Ja, zu Hause ist's am besten, richtig?«
Kurz vor vier Uhr morgens hörten wir draußen Geräusche. Jamilla schaute mich an. Wir hoben unsere Pistolen.
Zum ersten Mal stellte ich mir vor, auf Kyle zu schießen, auf einen Mann, den ich für meinen Freund gehalten hatte. Das behagte mir ganz und gar nicht. Ich war nicht sicher, wie ich reagieren würde, und das machte mir Angst.
Leise Schritte auf der Terrasse. Irgendwie war ich erleichtert. Das war die Art, Kräfte zu messen, die Kyle wollte. Er kam. Wahrscheinlich hatte die Geschichte, die er so lang schon erzählte, sein Fantasieleben, endlich die Oberhand gewonnen. Vielleicht war er jetzt ein Psychopath. Das würde uns einen Vorteil verschaffen.
»Ganz vorsichtig«, flüsterte ich und berührte Jamillas Handrücken. »Versuchen Sie, alles mit seinen Augen zu sehen. Kyle glaubt, er hätte uns dort, wo er wollte.«
Schnell und gekonnt knackte er das Schloss. Mit minimaler Mühe. Mir wurde klar, dass er die Wohnung schon seit längerem ausspioniert hatte. Er kannte den Hintereingang und die Feuerleiter zur Terrasse.
Das Schloss der Terrassentür machte leise klick , dann geschah nichts.
»Wir sind gut, alles bestens«, flüsterte Jamilla. »Diesmal gewinnen wir.«
Wir warteten im Dunklen in der Nähe der Tür. Endlich ging
sie auf. Ganz langsam. Kyle trat ein. Gebückt kam er auf uns zu. Offenbar sah er uns nicht, aber wir konnten ihn sehen. Ich warf mich auf Kyle und setzte dabei mein gesamtes Gewicht, meine ganze Kraft ein. Ich schleuderte ihn gegen die Wand im Wohnzimmer. Die ganze Wohnung bebte. Bücher und Gläser fielen aus den Regalen auf den Boden. Ich war erstaunt, dass wir nicht durch die Wand brachen.
Ich schlug ihm den Ellbogen gegen das Kinn. Ein gutes Gefühl. Kyle war drahtig und kräftig, aber ich war wild entschlössen, ihn zu überwältigen. Dann versetzte ich ihm einen harten rechten Haken direkt in den Solarplexus. Ein Volltreffer. Ich setzte zum nächsten Schlag an. Da schaltete Jamilla das Licht ein. Mein Hirn drehte durch. Ich zitterte am ganzen Körper. Es war nicht Kyle Craig.
100
» R unter! Auf den Boden! Weg von den Fenstern!«, schrie ich Jamilla an.
Ich hatte Angst, ein Gewehrschuss könnte sie treffen. Kyle könnte da draußen sein, und dass er schießen konnte, wusste ich inzwischen. Jamilla warf sich auf den Boden, mit dem Gesicht zu mir. Auch der Mann lag da, den ich überwältigt hatte, und schaute mich total verwirrt an. Wer, zum Teufel, war der Kerl? Was war gerade geschehen? Wo war Kyle?
Jamilla zielte mit ihrer Dienstwaffe direkt auf seine Brust. Ihre Hand war verblüffend ruhig. Er blutete stark aus der Nase, wo meine Faust ihn getroffen hatte. Er war gut gebaut, Anfang dreißig, kurzes Haar, ein hellhäutiger Schwarzer. In meinem Kopf herrschte totales Chaos. »Wer, zum Teufel, sind Sie? Wer bist du?«, brüllte ich den verwirrt dreinschauenden Mann auf dem Boden an.
»FBI«, keuchte er. »Ich bin Agent. Stecken Sie die Waffe weg, bitte.«
»Und ich bin bei der Polizei von San Francisco«, brüllte Jamilla zurück. »Und ich werde bestimmt nicht die Waffe wegstecken, Mister. Was haben Sie in meiner Wohnung zu suchen?« Ich konnte beinahe lesen, was sie dachte, und das waren eindeutig keine freundlichen Gedanken. »Reden Sie, los!« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Antwort auf Ihre Fragen. Meine Dienstmarke und mein Ausweis sind in der linken Gesäßtasche. Ich bin beim FBI, verdammt noch mal!« »Bleiben Sie liegen!«, befahl ich. »Draußen könnte jemand mit einem Gewehr sein. Hat Kyle Craig Sie hergeschickt?« Die Miene des Agenten beantwortete meine Frage, aber er weigerte sich, sie zu bestreiten oder zu bestätigen. »Ich muss keine Fragen beantworten.«
»O doch, verdammt noch mal, das müssen Sie!«, erklärte Jamilla.
Ich tat das Einzige, was ich unter diesen Umständen tun konnte – ich rief das FBI an.
Vier Agenten vom Büro in San Francisco erschienen kurz nach fünf in der Wohnung. Wir
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