Alex Cross 07 - Stunde der Rache
ihr versprechen, in den nächsten Tagen extrem vorsichtig zu sein. Sie versprach es mir. Dann bestieg ich endlich ein Flugzeug, das den San Francisco International verließ.
Die mysteriösen Telefonanrufe hatten aufgehört, aber das machte mir auch große Angst. Ich hatte keine Ahnung, wo Kyle war oder was er tat.
Beobachtete er mich immer noch? Ließ er mich auf dem Weg zurück nach Washington beschatten? Ich hätte derartige Gedanken verdrängen müssen, aber es gelang mir nicht. Hatte er den Feldstecher auf mich gerichtet, als ich auf den Gehweg zum Haus meiner Tante Tia in Chapel Gate, Maryland, entlanglief? Das Haus lag fünfzehn Meilen außerhalb von Baltimore. Wie konnte Kyle wissen, dass ich hier war? Nun, weil wir damit unseren Lebensunterhalt verdienten. Konnte er an Sampson und mir vorbeischlüpfen? Eigentlich nicht, aber absolut sicher war ich nicht.
Die Kinder genossen die kurzen Ferien. Tante Tia verwöhnte sie immer, so wie sie mich als Kind verwöhnt hatte. »Wie immer, wie immer«, sagte sie, wenn sie ein Stück Kuchen brachte oder ein unerwartetes Geschenk. Nana war verständnisvoller, als ich gedacht hatte. Ich glaube, sie genoss die Zeit mit ihrer »kleinen Schwester«. Tia war jünger als Nana, erst »achtundsiebzig«, aber sie war munter und hatte moderne Ansichten und war eine fabelhafte Köchin. Am ersten Abend machten sie und Nana Penne mit Gorgonzola, Broccoli und Kuchen. Ich aß, als wäre es meine Henkersmahlzeit.
Dann spielte ich mit den Kindern und unterhielt mich mit ihnen, bis es elf Uhr war, viel später als ihre normale Schlafenszeit. Sie sind keineswegs perfekt, aber die guten Zeiten mit ihnen überwiegen die schlechten. Ich rede lieber über die guten Zeiten, und warum auch nicht? Ich bin ein Vater und liebe Damon, Jannie und Klein-Alex mehr als mein Leben. Vielleicht sagte das etwas.
Am nächsten Morgen fuhr ich zurück nach Washington. Ein Team von FBI-Leuten gab meiner Familie Personenschutz. Ich hatte gehofft, dass wir das nie nötig haben würden, und offen gesagt, machte es mir eine Heidenangst.
Am Nachmittag nahm ich an einer Besprechung beim FBI teil und erfuhr, dass über vierhundert Agenten die Aufgabe hatten, Kyle Craig zu finden und festzunehmen. Bis jetzt war nichts an die Presse durchgesickert, und Direktor Burns wollte, dass das so blieb. Ich ebenfalls. Ich wollte vor allem, dass man Kyle schnell fand, ehe er einen weiteren Mord beging. Aber wen würde er umbringen? Wer war Kyles nächstes Opfer?
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» C hristine, hier ist Alex«, sagte ich. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch. »Tut mir Leid, dich zu stören, aber es ist wichtig, sonst würde ich nicht anrufen.« Das war ehrlich die Wahrheit. O Gott, ich hatte nicht anrufen wollen.
»Geht's Klein-Alex gut?«, fragte sie. »Ist es Nana?«
»Nein, nein, allen geht's gut.« Das war nur die halbe Wahrheit. Ein kurzes ungutes Schweigen. Christine und ich hatten heiraten wollen. Sie hatte Schluss gemacht, weil sie ein Leben mit mir nicht ertragen konnte, solange ich bei der Mordkommission arbeitete. Zu viele schlimme Szenen wie die jetzige. »Alex, du hast schlechte Nachrichten, richtig? Geoffrey Shafer? Ist er wieder im Land?«, fragte sie. Sie klang verängstigt, und sie tat mir Leid. Geoffrey Shafer hatte sie entführt. »Nein, es geht nicht um Shafer.«
Ich berichtete ihr von Kyle Craig. Sie kannte und mochte Kyle. Ich spürte, dass sie enttäuscht war. Sie war von den Ungeheuern, die mir bei meiner Arbeit begegnet waren, tief verletzt worden. Das konnte sie mir nicht verzeihen, und ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich konnte mir ja oft selbst nicht verzeihen. Als ich mit Christine sprach, erinnerte ich mich, wie sehr ich sie geliebt hatte – und vermutlich immer noch liebte. »Hast du einen Platz, wohin du gehen kannst, wo du ganz sicher bist?«, fragte ich. »Du musst dort eine Zeit lang bleiben, das ist wichtig. Ich tue dir das wirklich nicht gern an, aber Kyle ist extrem gefährlich, Christine.«
»Ach, Alex, ich bin in den Nordwesten gezogen, um sicher zu sein. Ich hatte das Gefühl, in Sicherheit zu sein, aber jetzt bist du wieder in mein Leben getreten.«
Dann sagte sie, sie würde zu einer Freundin gehen, der sie vertraute. Ich bat Christine, niemandem ihren Aufenthaltsort zu sagen. Als sie auflegte, weinte sie. Ich hatte tiefes Mitleid mit ihr. Es war so fürchterlich, was passiert war. Der Anruf brachte alles zurück, was bei uns schief gelaufen war.
Als Nächstes rief ich Jamilla an. Meine
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