Alex Cross - Cold
steht der da vor meinem Haus, er oder irgendeiner von seinen idiotischen Kumpanen. Geht’s noch? Ich meine: Geht’s noch ? Es gibt so viele Verbrechen auf der Welt. Und Sie haben nichts Besseres zu tun, als Ihre Mittel so zum Fenster rauszuwerfen? Soll mich das vielleicht irgendwie beeindrucken? Oder mich davon abhalten, mich heimlich ins Ausland abzusetzen?«
Das war Isabelle Morris’ Begrüßung, ein Feuerstoß, der praktisch gleichzeitig in dem Moment losbrach, als sie uns die Tür öffnete. Sie war kleiner, als ich gedacht hatte, höchstens eins fünfundfünfzig. Im Fernsehen war sie immer nur eine Quasselstrippe und hier wohl auch. Zumindest hatte ich diesen Eindruck.
»Ms. Morris, ich bin Detective Cross. Wir haben vorhin kurz telefoniert. Das hier ist Detective Sampson. Können wir uns vielleicht drin unterhalten? Ohne die stechenden Blicke des FBI im Nacken? Ich glaube, das wäre besser. Bitte.«
Sie starrte mich noch eine Weile an, dann trat sie einen Schritt beiseite und ließ uns ein. Wir folgten ihr nach hinten in eine offene Küche mit anschließendem Wohnzimmer. Eine kleine verglaste Essnische bot einen Blick auf den dornigen Garten. Ein Junge im Teenageralter saß mit Kopfhörern auf der Couch und spielte Mortal Irgendwas. Er würdigte uns keines Blickes.
Ms. Morris ging ohne Umschweife zum Herd, stellte die Gasflamme unter einem dampfenden Kochtopf kleiner und machte sich anschließend daran, einen Haufen rote Paprika auf der Arbeitsplatte klein zu schneiden. Aha. Sie wollte, dass ich den ersten Zug machte. Ich tat ihr den Gefallen.
»Ms. Morris...«
»Isabelle.«
»Ich weiß, dass Sie über unseren Besuch alles andere als erfreut sind, und ich kann es Ihnen auch nicht verdenken, aber können Sie nicht zumindest nachvollziehen, warum das FBI und die Polizei sich für Sie interessieren?«
Sie hörte auf zu schneiden und legte den Kopf in den Nacken.
»Hmm, mal überlegen. Weil ich öfter auf MSNBC als auf Fox zu sehen bin? Weil ich mich in den Neunzigern für Fulanis Präsidentschaftskandidatur engagiert habe? Oder vielleicht, weil ich die Coyle-Administration wegen ihrer haarsträubenden Fehler in Afghanistan und Pakistan scharf kritisiert habe? Wegen der Fehler, die die Regierung selbst zugegeben hat? Spielen Sie möglicherweise darauf an?«
»Um ehrlich zu sein, ja«, erwiderte ich. »Aber das alles hat nicht das Geringste mit unserem Besuch bei Ihnen zu tun. Ich möchte von Ihnen wissen, was Sie am Abend vor dem Verschwinden von Zoe und Ethan Coyle, am Morgen, als es passiert ist, und am Nachmittag danach gemacht haben.«
»Um mögliche Widersprüche in meinen Aussagen aufzudecken«, sagte sie.
»Ich persönlich nicht«, erwiderte ich. »Aber jemand anderes, ja, das ist richtig.«
»Unglaublich«, sagte sie. »Das FBI und die Polizei von Washington, D. C., haben nicht den leisesten Anhaltspunkt, wo diese armen Kinder sein könnten. Also eröffnen sie eine Hexenjagd auf Leute wie mich, nur um gegenüber der Öffentlichkeit behaupten zu können, dass sie etwas unternehmen. Und so etwas können Sie verantworten?«
»Das habe ich nicht behauptet. Ich denke einfach, dass Sie bestimmte Kriterien erfüllen, die Sie in diesem Zusammenhang in den Fokus der Ermittlungen rücken, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand tieferschürfende Analysen über Sie angestellt hat. Das FBI hat eine beeindruckende Maschinerie in Gang gesetzt, mit Betonung auf ›Maschinerie‹. Aber immer noch werden zwei Kinder vermisst. Könnten wir uns jetzt also bitte auf das Wesentliche konzentrieren?«
Sie blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an, fast so, als könnte sie mich nur verschwommen erkennen. Ich glaube, sie hatte nicht damit gerechnet, solche Worte aus dem Munde eines Polizisten zu hören.
»Habe ich Sie nicht schon mal in den Nachrichten gesehen?«, sagte sie dann. »Ich glaube schon.«
»Könnte sein«, schaltete Sampson sich ein. »Er ist so eine kleine Halbberühmtheit.«
Isabelle Morris deutete ein Lächeln an. »Genau wie ich«, sagte sie und wandte sich wieder ihrem Gemüse zu.
»Also, wo fangen wir an? Wollen Sie wissen, was ich am Donnerstagabend zu Abend gegessen habe? Welches Buch ich gerade lese? Montaigne, von Sarah Bakewell, okay? Ich bin mir sicher, dass das der entscheidende Hinweis ist, der die Kinder schnell wieder nach Hause bringt.«
21
Die schmale Akte, die das FBI mir hatte zukommen lassen, enthielt nur nicht vertrauliche Unterlagen. Darin stand kein einziger
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