Alex Cross - Cold
beweisen«, meinte ich. »Nur nicht schnell genug.«
»Dann ist es unter Umständen an der Zeit, über einen alternativen Ansatz nachzudenken«, sagte er.
Ich spürte, wie mir eine Gänsehaut den Rücken hinunterrieselte, und das lag nicht an der steifen Brise, die vom Parkplatz zu uns herüberwehte. Ich ließ Ned weiterreden.
»Hör zu, im Prinzip stehe ich voll und ganz hinter den Vorschriften« sagte er. »Wenn das System nicht wenigstens ab und zu funktionieren würde, dann könnte ich mit dieser Arbeit nicht meinen Lebensunterhalt verdienen. Aber soll ich dir mal was verraten, Alex? In diesem Fall funktioniert es nicht. Nicht einmal ansatzweise.«
»Das lässt sich nicht bestreiten. Glass ist ein ungewöhnlicher Mensch und schlauer als der Durchschnitt.«
Ned sah mich kein einziges Mal an. Er starrte einfach nur auf seine Füße und auf den mit Schotter bestreuten Betonfußboden und redete weiter. Immerhin waren wir in Langley. Da weiß man nie, welcher Busch Augen hat oder welche Bank Ohren.
»Ned, willst du damit etwa sagen...«
»Ich will gar nichts sagen. Aber falls ich es wollte, dann würde ich dir erzählen, dass ich ziemlich problemlos ein paar Dinge beschaffen könnte, die du vielleicht gebrauchen könntest. Und dass ich dich nicht alleine damit hängen lassen würde, wenn du interessiert wärst.«
Am liebsten hätte ich ihn gefragt, woran ich denn interessiert sein könnte. Aber mir war klar, dass ich das bereits wusste. Noch bevor ich etwas sagen konnte, stand Ned auf.
»Geh nach Hause, Alex. Du hast ja meine Telefonnummer, für den Fall, dass du... du weißt schon... reden willst.«
»Reden«, erwiderte ich. »Genau. Ich hab deine Nummer.«
Er zog zum Schutz gegen den Wind die Schultern hoch und blies in seine Hände. »Ich hätte mal eine Jacke anziehen sollen«, sagte er. »Ist ja höllisch kalt hier draußen.«
Dann drehte er sich um und ging davon.
Höllisch kalt, auf jeden Fall.
95
Aufnahme.
»Nachdem ich Cross verlassen hatte, wurde ich von meinen Gefühlen beinahe übermannt. Ich hatte es geschafft. Ich hatte gewonnen. Ich hatte sie alle geschlagen und machte immer weiter. Jede Schlacht entschied ich für mich. Jede einzelne.
Und doch spürte ich eine leichte Veränderung. War ich denn so voller Schuldgefühle... dass ich irgendwie anders wurde? Warum hatte ich Cross nicht ausgeschaltet?
Die Wahrheit ist: Ich fand ihn längst nicht so beeindruckend, wie ich erwartet hatte. Aber wollte er mich vielleicht in eine Falle locken? Um dann zum tödlichen Schlag auszuholen? Körperlich ist er sicherlich eine imposante Gestalt und klug ist er auch, nehme ich an. Außerdem ist er mit Leidenschaft bei der Sache.
Aber ich glaube nicht, dass er mich schnappen wird, mich aufhalten kann, mich für all die Dinge, die schrecklichen Dinge, die ich getan habe, ins Gefängnis bringen kann.
Ich habe keine Angst vor Cross.
Aber meine Gefühle drehen sich um etwas anderes. Es geht hier nicht um den Detective, es geht um mich. Um wirklich absolut sicher zu sein, müsste ich etwas gegen ihn unternehmen, das weiß ich. Ich bin schlau genug, um mir etwas auszudenken, wie ich ihn töten kann. Und ich bin gut genug, das auch in die Tat umzusetzen und mich nicht erwischen zu lassen.
Also, warum habe ich nichts unternommen? Was hält mich davon ab? Das schlechte Gewissen etwa? Bedauern über das, was ich den Kindern angetan habe? Vielleicht hat mich irgendetwas beeindruckt an Cross’ Kindern, an seiner Frau oder womöglich sogar an ihm selbst? Seine Leidenschaft ist wirklich eine Inspiration.
Oder ist es das: Ich weiß, dass ich mich selbst nicht aufhalten kann, und will deshalb, dass Cross das für mich erledigt?
Nein. Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass ich will, dass mich jemand aufhält. Ich habe gesiegt... und das ist ein ziemlich gutes Gefühl.«
96
Als ich an diesem Abend nach Hause kam, hörte ich die Kinder im Keller herumtoben. Seit Ava bei uns wohnte, waren die drei unzertrennlich und hatten das Untergeschoss zu ihrem persönlichen, provisorischen Klubhaus, Boxring und Kino gemacht.
Bree und Nana saßen im Wohnzimmer und waren damit beschäftigt, ein Rundschreiben für das Southeast Children’s House in Kuverts zu stecken. So sollte die Förderschule heißen, die Sampson und Billie mit so viel Engagement auf die Beine stellen wollten. Ich war ihnen zurzeit keine große Hilfe.
Ich holte mir einen Teller mit aufgewärmten Resten und eine Flasche Budweiser und sank auf
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