Alex Delaware 25 - Tödliche Lektion
eingehend mustern, aber Milo schien das nicht zu stören.
Mendozas Auftritt im sozialen Netzwerk wirkte halbherzig: einige Siege im Baseball, die er eher herunterspielte, keine Freundesliste, kein Wort über die Verletzung, die ihn die Karriere kosten könnte. Auf den wenigen Fotos war ein großer, stämmiger Junge mit dunklen Augen, Bürstenschnitt, breiten Schultern, dichten Augenbrauen, vollen Lippen und nach unten gezogenen Mundwinkeln zu sehen. Selbst auf dem Bild, auf dem er mit dem Pokal als wertvollster Spieler einer Mittelschule posierte, wirkte Martin Mendoza verbissen.
Milo las den Ausdruck zum dritten Mal und steckte ihn gerade in die Tasche, als ein feuerroter Infinita an den Torpfosten vorbeiglitt. Ein silberner Lincoln Navigator nahm seinen Platz ein. Ein halbwüchsiges Mädchen saß auf dem Beifahrersitz. Sie ließ das Fenster herunter und lächelte frech.
Milo lächelte zurück.
Die Frau am Lenkrad sagte: »Mach wieder zu, Lisa.« Dann gab sie Gas und rollte außer Sichtweite.
»Lass mich raten«, sagte ich. »Nachdem du eine Nacht darüber geschlafen hast, hast du beschlossen, in eine neue Phase der Ermittlungen einzutreten. Zum Teufel mit dem Chef.«
Er drückte die Zunge an die Innenseite seiner Wange. »Ich und aufsässig? Gott bewahre.«
Das nächste Auto war ein weißer Jaguar. Auf dem Beifahrersitz saß ein Latinojunge, aber nicht Mendoza. Diplomatenschilder. Der Fahrer trug Uniform.
Fast alle älteren Schüler fuhren selbst. Die jüngeren wurden von attraktiven Frauen mit spitzem Kinn oder von zerstreuten Männern chauffiert, die verbotenerweise mit ihren Handys telefonierten.
Einer der mürrischsten Insassen war ein dürrer, rothaariger Junge, der vom Aussehen her eher in die Abschluss- als in eine untere Klase ging und sich an die Beifahrertür eines bronzefarbenen Lexus LX drückte. Er hatte sein Kinn auf die knochige Faust gestützt und starrte ins Leere.
Am Steuer saß eine rotblonde Frau mit lockiger Kurzhaarfrisur.
Als der Junge uns bemerkte, löste er sich aus seiner Erstarrung. Er musterte uns und glotzte uns so lange an, bis der Lexus außer Sicht war.
»Der Karottenkopf schien dich zu kennen«, sagte ich.
»Ihn kenne ich nicht, aber seine Mutter.«
»Mrs. Polizeichef und der gepriesene Charlie.«
Er seufzte.
»Er wirkte ein bisschen bedrückt«, sagte ich.
»Würdest du ihn als Vater haben wollen?«
»Touché.«
»Vielleicht ist er glücklicher, wenn er in New Haven den Whiffenpoof Song trällert.«
»Seit wann kennst du dich denn mit so einem Zeug aus?«
»Ich habe mir einiges über Eliteunis angelesen. Ein bisschen kulturelle Anthropologie kann nicht schaden.«
»Was hast du daraus gelernt?«
»Dass ich niemals genommen worden wäre.«
Ein marineblauer Bentley Continental rollte vorbei. Ein hübsches schwarzes Mädchen, das geradeaus starrte und energisch Kaugummi kaute, saß auf dem Beifahrersitz, ein riesenhafter Vater in einem weißen Trainingsanzug am Steuer. Über mehrere Spielzeiten hinweg hatte er für die L.A. Lakers in den letzten Sekunden entscheidende Körbe geworfen.
»Das hier ist eine Welt für sich«, sagte Milo und rieb sich das Gesicht. »Komm schon, Marty, zeig dich.«
Um acht Uhr zweiundvierzig war das letzte Auto durchgefahren, ohne dass wir Martin Mendoza gesehen hatten.
»Auf geht’s«, sagte Milo, woraufhin wir zu Fuß weiterliefen. Die Pflastersteine unter meinen Füßen fühlten sich so glatt an, als wären sie zentimeterweise poliert worden. Riesige Chinesische Ulmen säumten die Zufahrt und bildeten eine schattige Allee. Als wir uns der Schule näherten, hörten wir jugendliche Stimmen und Gesprächsfetzen, die aus den Fassadenfenstern drangen, aber das Rascheln der Blätter im Wind war lauter.
Nach einer Kurve kam das Wachhäuschen in Sicht. Zwei Leute kamen auf uns zugelaufen.
Eine Frau in einem schwarzen Hosenanzug, die ein paar Schritte vor einem großen Mann in einer Khakiuniform hertrippelte.
»Ach, Sie sind das«, sagte Rektorin Mary Jane Rollins mit tonloser Stimme. »Ich musste gerade ein Unmenge von Beschwerden über mich ergehen lassen.«
Der Wachmann blieb hinter ihr stehen und verschränkte die Hände über der Gürtelschnalle. Er war Mitte sechzig, bullig, mit rotem Gesicht und blauen Polizistenaugen, die verrieten, dass er das Rentenalter bereits überschritten hatte. An seinem Gürtel hingen eine Taschenlampe und ein Walkie-Talkie, aber keine Knarre. Auf einem Namensschild aus Messing stand Walkowicz . Da
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