Alex Rider 5: Scorpia: Alex Riders fünfter Fall
auf die Felskante. »Keine Ahnung.« Er dachte kurz nach. »Das könnte Ravello sein. Ein kleines Bergdorf.«
»Können wir da hinfahren?«
»Ja, klar.«
Auf einmal fügte sich für Alex alles zusammen. Das Flachdach mit dem Notausgang, der offenbar nicht verschlossen war. Das Dorf da oben auf den Felsen. Die Bergsteigerausrüstung in Jerrys Wohnung. Plötzlich war alles ganz einfach.
Consanto mochte wie eine uneinnehmbare Festung aussehen. Aber Alex wusste jetzt, wie er sich Zutritt verschaffen konnte.
D ie verblasste Villa aus dem achtzehnten Jahrhundert stand etwas außerhalb von Ravello und war über einen Pfad zu erreichen, der sich hoch über den Pinien am Hang des Berges entlangwand. Ein wunderbarer Ort, wenn man sich zurückziehen wollte, eine Welt für sich, abseits der dicht bevölkerten Strände und Straßen weiter unten. Von der See wehte ein kühler Abendwind, und als die Sonne unterging, färbte sich der Himmel von blau über zart violett zu dunkelrot. Durch einen großzügig angelegten Ziergarten führte ein Weg zu einer Terrasse, auf deren Brüstung weiße Marmorköpfe standen. Hinter der Terrasse fiel das Gelände senkrecht ab, und wenn man hinunterschaute, sah man dreihundert Meter tiefer die Küstenstraße, den Gebäudekomplex der Consanto AG und das felsige Flachland.
Die Touristen hatten sich längst zurück in ihre Hotels begeben und saßen gemütlich beim Abendessen. Alex dagegen plante seine nächsten Schritte. Sein Mund war trocken, sein Magen verkrampfte sich. Was er vorhatte, war der reine Wahnsinn! Gab es denn wirklich keine andere Lösung? Nein. Er hatte alle Möglichkeiten durchgespielt. Es ging nicht anders.
Er wusste, BASE-Jumping war eine der gefährlichsten Extremsportarten überhaupt. Jeder BASE-Jumper kannte einen, der bei einem Unfall verletzt oder sogar getötet worden war. Die Abkürzung BASE steht für Building, Antenna, Span und Earth; das bedeutet Gebäude, Antennen, Brücken und Erde. BASE-Jumper machen Fallschirmsprünge von Wolkenkratzern, Staudämmen, Felswänden und Brücken, von allem, was hoch ist, nur nicht aus Flugzeugen. Das Springen selbst verstößt zwar nicht gegen die Gesetze, aber meist geschieht es ohne Genehmigung (die man eigentlich braucht) und oft bei Dunkelheit. Viele sehen den Reiz dieser Sportart gerade in der Heimlichtuerei.
Jerry hatte Alex versprochen, ihm seine Ausrüstung zu leihen, und so waren die drei nach Neapel zurückgefahren, um die Sachen zu holen. Während der langen Fahrt hatte Jerry ihm so viel wie möglich über verschiedene Sprungtechniken und die damit verbundenen Gefahren erzählt.
»Die allerwichtigste Regel ist für Anfänger häufig die schwierigste«, sagte Jerry. »Nach dem Absprung musst du so lange wie möglich warten, bis du den Fallschirm öffnest. Je länger du damit wartest, desto weiter entfernst du dich von der Felswand. Und du musst unbedingt die Schultern oben behalten. Achte vor allem darauf, dass du dich nicht überschlägst.«
»Und wie kann ich das verhindern?«, fragte Alex.
»Auf keinen Fall einen Kopfsprung machen. Dann könntest du an die Wand schlagen.«
»Und was bedeutet das?«
»Tja. Dann bist du tot.«
Alex trug Knie- und Ellbogenschützer sowie einen Helm. Zusätzlich hatte Jerry ihm ein Paar stabile Wanderschuhe geliehen. Aber das war auch schon alles. Nach dem Absprung musste er sofort reagieren, und zu viel Schutzkleidung würde ihn nur langsamer machen. Im Übrigen, hatte Jerry erklärt, sei noch kein BASE-Jumper jemals ohne vorheriges Training gesprungen. Wenn etwas schiefging, würde ihm auch alle Schutzkleidung der Welt nichts helfen.
Und der Unterschied zwischen Leben und Tod?
Für Alex bestand dieser Unterschied aus zweimal zwanzig Quadratmetern F111-Nylon. Fallschirmspringer brauchen etwa tausend Quadratzentimeter Fallschirmfläche pro Pfund Körpergewicht und Ausrüstung. Und BASE-Jumper brauchen noch mal rund fünfzig Prozent mehr. Alex’ Fallschirm war auf Jerry zugeschnitten, der viel schwerer war als er. Das musste also eigentlich reichen.
Jerry hatte den Fallschirm für knapp tausend Dollar aus zweiter Hand gekauft. Ein BASE-Fallschirm ist größer als ein normaler Fallschirm und lässt sich besser lenken und genauer landen. Der Schirm würde beim Sprung durch Alex’ Körpergewicht automatisch aufgehen und sich über ihm zu einem breiten Rechteck entfalten.
Jerry stand neben ihm und maß mit einem schwarzen Apparat, der so ähnlich wie ein Fernglas aussah, die Höhe des
Weitere Kostenlose Bücher