Alexa, die Amazone – Die große Chance
freundlicher.
»Ist noch Reitbetrieb?«, fragt Alexa.
»Klar, es ist ja noch nicht einmal sieben Uhr. Aber es reicht noch, wenn du dir das morgen früh anschaust. Du wirst es lange genug sehen!«
»Und wieso habt Ihr keine Paddockboxen? Das eine Gebäude ...« Sie weist mit dem Finger darauf. »Ist doch noch so ein richtig alter Stall, oder nicht?«
Er nickt.
»Ja, es ist schwierig, diese alten, gemauerten Ställe umzubauen. Wir haben zwar schon große Fenster eingebaut, es ist innen also heller, als es von außen aussieht, und die Boxen sind auch geräumig, aber perfekt ist es natürlich nicht. Und auch nicht mehr zeitgemäß, das ist klar. Aber ein Neubau ... Alexa, wenn du mir mal deinen russischen Witsch vorbeischickst?«
Alexa muss lachen.
»Ist gut!«, sagt sie. »Das wird er einsehen – schließlich leisten die Pferde was, dann sollen sie es auch gut und schön haben!«
»Du sagst es.« Harald lächelt vor sich hin. »Aber jetzt gib Gas, mein Magen knurrt!«
Rechts um das Gasthaus herum, an abgestellten Pferdetransportern vorbei, eilt er auf ein Haus zu, das etwas abseits auf einem aufgeschütteten Hügel steht. Alexa muss, um mitzuhalten, zwischendurch immer ein, zwei Takte laufen. In der dicken Daunenjacke wird es ihr schnell zu warm.
»Hast du ein Tempo drauf«, keucht sie, völlig außer Atem.
»Sagte ich es nicht? Ich habe Hunger!«, kommt es zurück und Harald verschärft das Tempo. Alexa fällt in einen leichten Dauerlauf, Harald auch. Um ebenso schnell zu laufen, vergrößert Alexa die Schritte, Harald auch. Alexa rennt bereits, Harald auch. Als sie endlich beim Haus ankommen, ist es für beide der Endspurt. Alexa stützt sich an der Haustür ab, während Harald Sturm läutet.
»Du lieber Himmel«, prustet Alexa und schnappt nach Luft. »Das Gemeinste waren ja die Treppen eben, zum Haus hinauf. Gott, tut mir die Lunge weh!«
»Du hast aber eine erstaunlich gute Kondition«, bemerkt Harald, ohne selbst auch nur im Geringsten außer Atem gekommen zu sein.
»Und du erst«, haucht Alexa. »Und dein Muskelriss?«
»Habe ich gerade ein bisschen getestet. Es geht wieder besser.«
In diesem Moment wird mit Schwung die Haustür aufgerissen. In einem schwarzen Jogginganzug und mit drei Rosen in der Hand steht Bianca da.
»Darf ich dich ganz herzlich willkommen heißen, liebe Alexa«, sagt sie, drückt der Verdutzten rechts und links einen Kuss auf die Wange und die Rosen in die Hand.
»Autsch«, entfährt es ihr.
»Und ich?«, fragt Harald erwartungsvoll.
»Du kriegst einen Kuss!«
»Na, immerhin, auch was«, lacht er.
Bianca tritt zurück und gibt die Tür frei. Alexa geht einen Schritt vor – und bleibt überrascht stehen.
»Das ist ja eine ausgefallene Bauweise.«
»Nun mach schon, es zieht kalt rein«, treibt Harald sie an.
»Toll«, sagt Alexa und geht auf die Seite.
Ohne Flur oder Vorraum, steht sie bereits in Haralds Wohnung – das heißt eigentlich in seinem ganzen Haus, denn das Erdgeschoss besteht nur aus einem einzigen Raum. Als Erstes fallen ihr die vielen Wände auf. Sechs Ecken zählt sie anstatt vier.
»Darf ich mich mal umschauen?«, fragt sie Harald, der bereits an ihr vorbei zu dem großen Kamin gegangen ist, der, etwas erhöht, fast eine ganze Wand beansprucht. Harald kniet sich davor nieder und nimmt einige Holzscheite, um das Feuer zu füttern.
»Klar«, ermuntert er sie über die Schulter. »Fühl dich ganz wie zu Hause.«
Alexa ist über den Stil der Einrichtung erstaunt. Sie überlegt, wo die Menschen so leben. Spanien vielleicht, fällt ihr ein. Der gut hundert Quadratmeter große Raum strahlt durch die weiß gekalkten Wände, die wenigen, aber dunklen Möbel und die erlesenen Teppiche eine strenge Würde aus. Auf der rechten Seite reihen sich über zwei Wände hinweg mehrere Rundbogen-Verandatüren nebeneinander. An der folgenden Wand, der Eingangstür genau gegenüber, prangt ein jahrhundertealter Schrank. Tiefschwarz, mit massiven Beschlägen und unzähligen groben und feinen Schnitzereien wirkt er auf Alexa fast erschreckend düster. Ein rotes Schattenspiel, der Widerschein vom Feuer nebenan, huscht über ihn und lässt die geschnitzten Figuren aufleben. Alexa tritt näher und sieht, dank ihrer gesunden Fantasie, bereits Leben in eine hölzerne Jagdgesellschaft kommen. Na danke, das ist ihr zu unheimlich. Auf dicken Teppichen geht sie zur Fensterfront. Ein runder dunkler Eichentisch passt, ebenso wie die sechs Stühle mit den hohen, geraden Lehnen, im
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