Alexander der Große
keinerlei Orakelauskunft, denn diese fand im Geheimen statt. Er bemerkt nur, Alexander
habe erfahren, |45| was er wollte, und sich dann wieder auf den Heimweg gemacht. 31 Das Original des Kallisthenes ist bekanntlich verloren, doch hat der Geograph Strabon den Bericht über den Zug zur Oase gelesen.
Er mokiert sich etwas über die Liebedienerei des Historikers und fasst dann Kallisthenes mit eigenen Worten zusammen: Der
Priester habe nur Alexander allein erlaubt, in das Tempelinnere zu kommen, während die Begleiter außerhalb des Heiligtums
zurückbleiben mussten. Nicht wie in Delphi seien die Bescheide mit Worten wiedergegeben worden, sondern vornehmlich durch
Nicken und Zeichen. Nur dies habe der Mann ausdrücklich (
retos
) gesagt, nämlich dass Alexander Sohn des Zeus sei. 32
Das scheint nicht zu Ptolemaios zu passen, und auch Plutarch will wissen, dass Alexander seiner Mutter geschrieben habe, die
Weissagungen seien geheim gewesen, und er werde ihr nur persönlich davon berichten. 33 Indes lässt sich der Widerspruch auflösen. Der Schlüssel liegt in dem Wörtchen „
retos
“. Zur Orakelerteilung wurde das Götterbild auf eine Barke gesetzt, welche die Priester auf Stangen herumtrugen und dazu hymnische
Lieder sangen. Dabei fiel kein Wort, die Antwort ergab sich vielmehr, wie Strabon schon andeutet, aus Zeichen, die bei der
rhythmischen Bewegung der Barke zustande kamen. Das
retos
aber zeigt, dass die Gottessohnschaft weder in der verklausulierten Zeichensprache des Orakels noch aber im Geheimen (
arretos
) verkündet wurde. Es war wohl nichts anderes als die Begrüßung des Pharao, der Alexander seit seiner Krönung im Memphis war,
in seiner Funktion als Sohn des Ammon. 34 Ammon aber war Zeus, und so sah sich Kallisthenes berechtigt, die Gottessohnschaft auch bei den Griechen und Makedonen zu
reklamieren. Curtius, Iustin und Plutarch bestätigen dies letztlich, wobei Letzterer noch die Gelegenheit nutzt, dem Leser
eines seiner Wortspiele aufzutischen:
Einige berichten hingegen, der Oberpriester habe Alexander auf griechisch mit der freundlichen Anrede „Liebes Kind“ [
O Paidion
] begrüßen wollen, habe sich aber als Nichtgrieche mit dem „s“ vertan, indem er ein „s“ statt eines „n“ gebrauchte und so
gesagt hätte: |46| „
O Pai Dios
“ [Sohn des Zeus], und dieser Lapsus sei Alexander sehrwillkommen gewesen; es habe sich daraufhin das Gerücht verbreitet,
Alexander sei von dem Gott als Sohn des Zeus angeredet worden. 35
Kallisthenes begnügte sich nicht mit der Auskunft des Ammonpriesters. Er versuchte sie durch weitere Nachrichten zu stützen
und aufzuwerten. So sei auch vom Zeusheiligtum von Milet und der benachbarten Wahrsagerin Athenais aus Erythrai die Botschaft
nach Ägypten gekommen, Alexander sei der Sohn des Zeus. Auch will er schon Prophezeiungen über den Sieg bei Gaugamela, den
Tod des Dareios und den Aufstand der Spartaner gehört haben. Diese „Prophezeiungen“ waren unzweifelhaft im Nachhinein entstanden.
Als Kallisthenes von ihnen berichtete, waren sie schon Vergangenheit. Aus ihr ließ sich leicht eine schon bekannte Zukunft
voraussagen. Dies gilt auch für die Weissagungen über Alexanders Unbesiegbarkeit und seine Weltherrschaft. Sie tauchen erst
in der Vulgata auf und kamen vielleicht erst mit Kleitarch in die Welt:
Bei der dritten Befragung wurde [Alexander] die Antwort zuteil, ihm werde Sieg in allen seinen Kriegen und der Besitz aller
Länder beschieden sein. Auch seine Begleiter erhielten den Bescheid, sie sollten Alexander als einen Gott, nicht nur als einen
König verehren.
Die alexanderfeindliche Überlieferung betrachtete genau diesen Punkt als die Wende vom Guten zum Schlechten. Alexanders Abstieg
begann für seine Feinde in der Oase Siwah:
Von diesem Augenblick an stieg seine Selbsteinschätzung ins Maßlose, und in seinem Herzen wuchs eine erstaunlich Hoffart,
die keinen Raum mehr ließ für die Menschenfreundlichkeit, die er durch griechische Bildung und makedonische Lebensart gelernt
hatte. 36
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|47| Der Brand von Persepolis – Ein kalkulierter Affekt
Am 1. Oktober 331 hatte Alexander Dareios bei Gaugamela geschlagen. Der Großkönig floh wiederum, diesmal mit wenig Aussichten,
ein neues Heer aufbieten zu können. Im eigenen Lager gab es Widerstände. Alexander nahm kampflos Babylon und rückte nach einem
Aufenthalt von vier Wochen gegen Susa, eine der drei persischen Residenzstädte,
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